„Manchmal erstickt es das Rennen ein wenig“ – ehemaliger Tour-de-France-Etappensieger beklagt „bedauerliche“ Dominanz von Tadej Pogacar

Radsport
Dienstag, 25 November 2025 um 18:00
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Tadej Pogačar ist ein Geschenk für den Radsport – und zugleich eine Herausforderung für seine Dramaturgie. Diese Balance beschreibt der frühere Tour-de-France-Etappensieger Cyril Saugrain in einem ausführlichen Gespräch mit Cyclism'Actu. Der Franzose gesteht: Die Dominanz des Slowenen raubt großen Rennen zunehmend die Unberechenbarkeit, die den Sport so einzigartig macht.

„Vorne fand ein Rennen statt – und dieser Typ fuhr herum und dominierte“

Saugrain stimmt Thomas Voecklers Kritik „zu 100 %“ zu: Spannung verpufft derzeit häufig lange vor dem Finale, weil Pogačar den Wettkampf gewissermaßen neutralisiert.
„Wir erleben großartige Momente“, sagte Saugrain. „Aber man erinnere sich: Auch Merckx ist oft 100 Kilometer allein gefahren.“ Die Parallele ist eindeutig. Saugrain macht klar: Die Klasse eines überragenden Champions darf man nicht schlechtreden – doch die Auswirkungen dieser Überlegenheit auf die Rennverlaufsdynamik seien unübersehbar.
Er nennt Beispiele aus dem Jahr 2025, die sinnbildlich für Pogačars Souveränität stehen: „Wenn man sich die World Championships oder die European Championships anschaut, ja, manchmal killt das das Rennen ein bisschen.“ Seine nüchterne Feststellung: „Vorne fand ein Rennen statt, und dieser Typ fuhr herum und dominierte.“

Ein offensiverer Sport – doch ein überragender Fahrer bleibt ein Fixpunkt

Trotz seiner Kritik ist Saugrain weit davon entfernt, in das Lager der Anti-Pogačar-Stimmen einzusteigen. Im Gegenteil: Er hält die moderne Ära für eine der spannendsten seit Jahrzehnten. Dank Fahrer wie Mathieu van der Poel, Tom Pidcock oder Remco Evenepoel hätten Attacken und offene Rennsituationen die alten Muster von Defensive und reiner Leader-Bewachung verdrängt.
„Wir haben das Glück, jetzt einen offensiven Radsport zu haben“, so Saugrain. Die Rennen seien variabler, der Mut zu frühen Attacken größer, die taktischen Möglichkeiten breiter. Doch selbst in dieser dynamischen Landschaft bleibe Pogačar ein Ausnahmefall: ein „generationenübergreifender Fahrer“, wie Saugrain es ausdrückt.
Ob Pogačar schon jetzt zu den ganz Großen der Geschichte gehöre, lässt er offen – stellt aber die Frage unironisch in den Raum.

Sorgen um die Basis: „Das eigentliche Problem liegt unten, nicht oben“

Abseits der sportlichen Debatte warnt Saugrain vor viel tiefer liegenden Risiken. Die WorldTour hält er für stabil: Topteams wie UAE Team Emirates – XRG verfügen über Budgets, die kaum angreifbar sind. Doch im Unterbau bröckelt die Struktur – und zwar besorgniserregend.
„Das eigentliche Problem liegt an der Basis“, sagt Saugrain. Budgets schrumpfen, Teams brechen weg, Perspektiven fehlen. Besonders schwer wiegt für ihn ein Generationenproblem: Junge Fahrer würden glauben, ihre Karriere sei vorbei, wenn sie mit 19 nicht Profi sind.
Konsequenzen für den Nachwuchs seien bereits spürbar – und könnten langfristig sogar die Spitze gefährden.
In der Diskussion um TV-Rechte und Erlösverteilung nimmt Saugrain eine klare Haltung ein. Organisatoren unter Druck zu setzen, lehnt er ab. Doch wenn zusätzliche Einnahmen entstehen, gehörten sie dorthin, wo „der Bedarf real ist“: in kleinere Strukturen, Amateurteams und Entwicklungsabteilungen.

Zwischen Bewunderung und Besorgnis

Saugrains Analyse trifft einen Nerv: Pogačars Übermacht fasziniert, aber sie verändert das Spiel. Gleichzeitig stehen die größten Risiken nicht im Rampenlicht der WorldTour, sondern im Schatten der unteren Ebenen.
Seine Botschaft ist zweischichtig – Anerkennung für ein Ausnahmetalent, Warnung vor der wackeligen Basis des Sports. Und in beiden Fällen stellt er Fragen, die weit über die Saison 2026 hinausreichen.
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