„Ich wünschte, ich hätte Tadej Pogačars Beine nur für einen Tag“ – Neilson Powless staunt über den Tour-de-France-Sieger, betont jedoch, dass das Feld die Hoffnung nicht aufgeben sollte

Radsport
Dienstag, 25 November 2025 um 16:15
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Neilson Powless hat selten so offen über den Zustand des Radsports gesprochen wie in seinem ausführlichen Jahresend-Interview mit Wieler Revue. Der US-Amerikaner blickt nicht nur auf seine eigene Form, sondern vor allem auf die Realität, regelmäßig gegen einen Fahrer wie Tadej Pogacar anzutreten. Seine Aussagen schwanken zwischen Bewunderung, Ehrlichkeit und leiser Frustration – und geben einen selten intimen Einblick in das Selbstverständnis eines Profis, der immer wieder gegen das scheinbar Unbesiegbare antritt.

Zwischen Bewunderung und Ernüchterung: Die tägliche Realität im Peloton

Powless zählt seit Jahren zu den zuverlässigsten WorldTour-Fahrern. Doch selbst er weiß, dass zwischen „sehr gut“ und „außergewöhnlich“ Welten liegen – und dass Pogacar auf der anderen Seite dieser Grenze steht.
„Ich würde mich über dem WorldTour-Durchschnitt einordnen, aber ich wünschte, ich hätte seine Beine für nur einen Tag“, sagte Powless. „Ich hoffe, er hält diese Beine nicht für selbstverständlich.“
Diese Worte spiegeln ein Gefühl wider, das viele Profis umtreibt: Die Konkurrenz ist so stark wie nie, aber die Spitze rückt gleichzeitig weiter auseinander. Pogacar, vierfacher Toursieger, WM- und EM-Champion, ist der sichtbarste Ausdruck dieser Schere. Powless beschreibt das Fahren gegen ihn mit entwaffnender Ehrlichkeit.
„Im Rennen kann es sich manchmal entmutigend anfühlen, wenn manche Teams so dominant sind und du dich fragst: Was kann ich hier überhaupt ausrichten? Jedes Team investiert alles, um zu gewinnen, aber wenn am Ende immer dieselben triumphieren, kann das für die Zukunft des Sports schwierig werden.“

Warum der Radsport dennoch unberechenbar bleibt

Trotz aller Skepsis lässt sich Powless nicht in eine Opferrolle drängen. Er verweist auf jene Momente im Frühjahr, die zeigten, dass der Radsport noch immer seine überraschenden Wendungen kennt – und dass die Übermacht einzelner Teams nicht jeden Ausgang determiniert.
Sein Sieg bei Dwars door Vlaanderen war einer dieser magischen Tage: taktisch klug, entschlossen und gegen die eigentlich klar stärkere Visma-Mannschaft erkämpft. Zusammen mit dem Amstel-Erfolg von Teamkollege Mattias Skjelmose sind es genau diese Resultate, die Powless Hoffnung geben.
„Diese Siege waren Erinnerungen an die Unvorhersehbarkeit unseres Sports. Im Frühjahr dachte ich nicht, dass ich einen Klassiker gewinnen würde, aber es ist mir trotzdem gelungen. Selbst wenn die absoluten Topfavoriten am Start sind, kann alles passieren. Eine kleine Chance ist immer noch eine Chance.“
Er spricht damit vielen Fahrern aus der Seele, die sich bei Pogacars Dauerdominanz fragen, ob das Sprichwort „im Radsport kann alles passieren“ noch gilt. Powless glaubt fest daran – und liefert die Beweise selbst.

Pogacar als Herausforderung – und als Inspiration

So schonungslos der EF-Fahrer über die ungleichen Kräfteverhältnisse spricht, so groß ist sein Respekt vor Pogacars Klasse. Powless ist weit davon entfernt, den Slowenen als Problem zu betrachten. Im Gegenteil: Für ihn ist Pogacar der vielleicht wichtigste Motor des Sports.
„Ich würde es großartig finden, ihn zum absoluten GOAT werden zu sehen. Wenn er noch einige Jahre so weitermacht, wird er dort definitiv ankommen.“
Powless benennt das, was viele im Peloton denken, aber kaum jemand so klar ausspricht: Pogacar ist nicht nur ein Gegner, sondern eine Messlatte. Ein Fahrer, der dazu zwingt, sich neu zu erfinden, härter zu trainieren, weiter zu denken. Und trotz aller Rückschläge nährt dieser Gegensatz auch Träume.
„Es wäre ein Privileg, eines Tages mit ihm auf einem Podium zu stehen. Und wer weiß, vielleicht ihn sogar zu schlagen. Mein Sieg bei Dwars door Vlaanderen hat mir diesen Glauben gegeben.“
Es ist ein Satz voller Realitätssinn – und gleichzeitig voller Ambition. Powless weiß, wie selten solche Chancen sind. Aber solange irgendwo eine Lücke existiert, glaubt er daran, dass auch er sie nutzen kann.

Ein Sport zwischen Übermacht und Hoffnung

Neilson Powless zeichnet mit seinen Worten ein erstaunlich vielschichtiges Bild des modernen Radsports. Einerseits spricht er über strukturelle Ungleichgewichte, über Dominanz, die lähmend wirken kann. Andererseits erkennt er darin die Bühne für Heldenmomente, für Überraschungen, für genau jene Tage, an denen plötzlich alles möglich wird.
Tadej Pogacar ist für ihn Sinnbild beider Perspektiven: der unerreichbare Maßstab und zugleich das Ziel, das den Traum erst entstehen lässt. Wer Powless in dieser Saison gesehen hat, weiß, dass er nicht nur darüber spricht – er hat gezeigt, dass Außenseiterchancen im Eintagesklassiker genauso real sind wie auf der großen Bühne des WorldTour-Kalenders.
Und vielleicht wird es tatsächlich irgendwann ein Podium geben, auf dem Pogacar und Powless nebeneinander stehen. Für einen wie ihn reicht manchmal eine kleine Chance – und an solchen Tagen kann selbst der dominierende Superstar des Sports besiegbar wirken.
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