Die Debatte um eine Neuordnung des Grand-Tour-Kalenders gewinnt an Fahrt. Während der Wechsel von Giro d’Italia und Vuelta a España inzwischen offen diskutiert wird, blocken die Organisatoren des italienischen Rundfahrts die Idee weiterhin entschieden ab. Doch einer der größten Stimmen des Landes widerspricht:
Vincenzo Nibali hält die Kritik nicht nur für überzogen – er geht sogar einen Schritt weiter und fordert eine jährliche Rotation aller drei Grand Tours.
Nibali: mehr als Tradition – der Giro als wirtschaftliche Lokomotive
Der „Hai von Messina“ trat am 1. Dezember bei der Streckenpräsentation des Giro 2026 in Rom auf, mittlerweile nicht mehr nur als Ikone, sondern als fester Bestandteil der Organisation. Nach der Show sprach er gegenüber Marca über die Bedeutung des Rennens weit über den sportlichen Rahmen hinaus.
„Die Zahlen, die wir gesehen haben, zeigen, dass es längst nicht mehr nur um Sport geht“, sagte Nibali. „Der Giro d’Italia erzeugt wirtschaftliches Wachstum – durch Infrastruktur, Radwege, nachhaltige Mobilität. Das ist ein ganzes Ökosystem.“
Als letzter italienischer Grand-Tour-Sieger (Giro 2016) bleibt Nibali eine der prägenden Stimmen, wenn es um die Zukunft der Rundfahrten geht.
Vingegaards Giro-Gedanken: das fehlende Stück zur Triple Crown
Die Frage, ob 2026 ein historisches Aufgebot beim Giro startet, treibt die Off-Season an.
Jonas Vingegaard deutete mehrfach an, seine Palmares mit dem Corsa Rosa komplettieren zu wollen. Ein Sieg würde ihn in die exklusive Gruppe jener Fahrer heben, die Tour, Vuelta und Giro gewonnen haben.
„Es wäre fantastisch, ihn beim Giro zu sehen“, sagt Nibali. „Das ist das letzte große Rennen, das ihm fehlt. Er könnte der achte Fahrer der Geschichte sein, der die Triple Crown schafft.“
Tadej Pogačar hingegen zeigt keine Absichten, die Tour zu verlassen. Ein Giro-Comeback scheint ausgeschlossen. Die große Unbekannte bleibt Remco Evenepoel: Giro oder Klassiker-Frühjahr? Milano–Sanremo? Ronde-Debüt? Der Belgier will sich zeitnah äußern.
Pogačars Vorschlag: Giro und Vuelta tauschen – Nibali denkt weiter
Pogačar sprach jüngst offen aus, was viele Profis hinter vorgehaltener Hand sagen:
„Wenn Giro und Vuelta den Platz im Kalender tauschen würden, wäre das viel besser – wegen der Wetterbedingungen und weil mehr Fahrer teilnehmen könnten.“
Das Argument ist altbekannt:
- Giro: regelmäßig Schneefälle, Starkregen, verkürzte Bergankünfte
- Vuelta: tropische Hitze, Rekordtemperaturen, zahlreiche Hitzeaufgaben
Doch Paolo Bellino, CEO von RCS Sport, reagierte am Freitag unmissverständlich:
„Wir werden darüber nicht einmal nachdenken. Der Giro gehört in den Mai – das ist Teil seiner Identität.“
Nibali versteht diese Haltung – aber sein eigener Vorschlag geht weiter.
Nibalis Gegenentwurf: Rotieren, statt tauschen
„Die erste Grand Tour des Jahres hat immer etwas Besonderes“, sagt er. „Die Fahrer kommen frisch, und es gibt viel Spektakel.“
Gerade deshalb würde Nibali die Hierarchien regelmäßig aufbrechen:
„Wenn es nach mir ginge, würde ich eine jährliche Rotation der drei Grand Tours einführen. Das würde die Saison deutlich interessanter machen.“
Ein rotierendes System – Giro, Tour und Vuelta wechseln jedes Jahr ihre Reihenfolge – wäre ein radikaler Paradigmenwechsel. Und einer, der tief in die Tradition des Sports eingreift.
Widerstand bleibt – aber eine neue Dynamik ist spürbar
Obwohl die Giro-Organisatoren jede Kalenderverschiebung ausschließen, bekommt die Debatte jetzt Unterstützung von gleich zwei Schwergewichten:
- Tadej Pogačar, der dominierende Fahrer seiner Generation
- Vincenzo Nibali, einer der größten Rundfahrer des 21. Jahrhunderts
Was vor wenigen Jahren undenkbar schien, wird nun öffentlich diskutiert. Und während die Tradition weiter schwer wiegt, wächst der Druck, den klimatischen und sportlichen Realitäten des modernen Radsports Rechnung zu tragen.