„Ich erkenne den Sport kaum wieder“ – Ex-Profi Bobby Julich über das neue Gesicht der Tour de France

Radsport
durch Nic Gayer
Mittwoch, 30 Juli 2025 um 17:00
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Die Tour de France 2025 bot von der ersten bis zur letzten Etappe Hochgeschwindigkeitsradsport. Schon in der traditionell ruhigeren ersten Woche setzten Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard das Feld unter Druck – ein Tempo, das auch den früheren US-Profi Bobby Julich sprachlos macht. In seiner Kolumne für Velo reflektiert der ehemalige Tour-Dritte, wie sehr sich der Radsport seit seiner aktiven Zeit verändert hat – und was das über den Sport von heute aussagt.
„Ich habe an neun Touren teilgenommen und sieben beendet. Dennoch erkenne ich den Sport, dem ich den größten Teil meines Lebens gewidmet habe, kaum wieder. Ich frage mich oft: Wie habe ich das damals nur geschafft?“, schreibt der heute 53-Jährige. Für Julich steht fest: Die Tour hat sich von einem dreiwöchigen Ausdauertest zu einem explosiven Vollgasspektakel gewandelt – mit neuen Anforderungen, neuen Helden und neuen Spielregeln.

Jung, schnell, gnadenlos – der Wandel einer Generation

Eine der auffälligsten Veränderungen für Julich ist das Alter der Spitzenfahrer. „Meine erste Tour fuhr ich 1997 mit 26 – ich war nicht einmal mehr für das Weiße Trikot zugelassen“, erinnert er sich. Heute dominieren Talente Anfang 20: Fahrer, die Etappen gewinnen, aufs Podium fahren und um die Gesamtwertung mitkämpfen – und dabei auch gleich das Nachwuchstrikot tragen.
Pogacar griff sogar auf der letzten Etappe der Tour de France im Maillot Jaune an
Pogacar griff sogar auf der letzten Etappe der Tour de France im Maillot Jaune an
Auch der Charakter des Rennens hat sich gewandelt. „Früher begannen wir mit einem Prolog oder Zeitfahren – das half, die Hierarchie zu klären und Nervosität abzubauen“, so Julich. Heute sei vom ersten Kilometer an jede Etappe umkämpft, das Rennen unberechenbar. „Man hat kaum noch Zeit für Gespräche im Feld oder eine Pause in der Natur. Es ist Vollgas von Anfang bis Ende.“

Ernährung, Daten – und der Preis des Fortschritts

Julich lobt die enormen Fortschritte im Bereich Ernährung, Regeneration und Technik. „Alles wird berechnet, gewogen und analysiert – von Teamköchen, Ernährungsberatern, durch Apps. Meine Generation hatte kaum Zugang zu diesem Wissen“, erklärt er. Der Effekt sei messbar: „Heute fahren sie schlicht schneller. Und das liegt nicht nur am Material.“
Doch nicht jeder Wandel wird positiv gesehen. Gerade beim Thema Respekt im Peloton sieht Julich Unterschiede – aber auch Missverständnisse. „Mobbing und Einschüchterung waren in den 90ern deutlich verbreiteter. Viele ungeschriebene Regeln wurden durchgesetzt – manchmal sehr hart“, sagt er. Mario Cipollini nennt er als „wahren Patron des Pelotons“, der Etikette notfalls persönlich durchsetzte.
Heute sei das Feld weniger hierarchisch, die Autoritäten weniger eindeutig – was zu chaotischeren Finals, mehr Stürzen und individuellen Entscheidungen führe. „Manche Attacke im Sprintfinale ergibt für mich keinen Sinn. Aber es ist nicht mehr meine Generation – es ist ihre Zeit zu glänzen.“

Akzeptieren, verstehen – und sich freuen, was kommt

Am Ende bleibt Julich vor allem eines: beeindruckt. „Es ist wichtig, die Fortschritte zu würdigen, auch wenn man nicht alles versteht“, schreibt er. „Ich mag mich fragen, warum ein Fahrer von Kopf bis Fuß im gepunkteten Design unterwegs ist oder wieso schon auf der dritten Etappe voll attackiert wird – aber das ist ihre Art, den Sport zu leben.“
Seine Schlussworte sind versöhnlich – und hoffnungsvoll: „Jede Generation bringt ihre eigenen Beiträge zu diesem erstaunlichen Sport. Und ich kann es kaum erwarten zu sehen, was als Nächstes kommt.“
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