Ethan Hayter galt lange als eines der größten Talente des britischen Radsports. Als junger Profi bei
INEOS Grenadiers schien seine Karriere vorgezeichnet, doch der hochveranlagte Allrounder wollte mehr: mehr Freiheit, mehr Verantwortung, und vor allem mehr Leidenschaft für den Rennsport. Sein Wechsel zu Soudal – Quick-Step zu Saisonbeginn 2024 war das Ergebnis einer sportlichen wie persönlichen Neuorientierung – und einer wachsenden Distanz zum Management von INEOS.
„Wenn man ein Radsportteam wie ein Unternehmen führt, verlieren die Fahrer und Mitarbeiter ihre Leidenschaft“, sagte
Hayter im Januar 2025 offen. „Genau das war bei uns der Fall. Der Rennsport wurde zunehmend zu einem Job.“ Worte, die nachhallten – und die das tiefe Spannungsfeld zwischen Erfolgsdruck und sportlicher Leidenschaft im Spitzensport offenlegten.
Vom Puncher zum Zeitfahrer
Zu Beginn seiner Karriere galt Hayter als explosiver Puncher mit solidem Sprintvermögen. 2021 kämpfte er bei der Tour of Britain auf Augenhöhe mit Julian Alaphilippe und Wout van Aert, unterstrich seine Vielseitigkeit mit mehreren Erfolgen und setzte seinen kometenhaften Aufstieg fort. Ein Jahr später siegte er bei der Tour de Pologne – ein Meilenstein, der ihn als möglichen Etappenfahrer auf WorldTour-Niveau bestätigte.
Trotz der Erfolge war nicht alles gut in Hayters letztem Jahr bei INEOS. @Sirotti
Doch der Schwung hielt nicht an. Stürze, Unsicherheiten in den Sprints und verpasste Formhöhepunkte ließen Zweifel aufkommen. Während Teamkollegen wie Tom Pidcock neue Wege gingen, verlor auch Hayter mehr und mehr das Vertrauen des Managements. 2023 schien er seine Form wiederzufinden, gewann die britische Meisterschaft, doch INEOS entschied sich gegen eine Vertragsverlängerung. Ende des Jahres unterzeichnete Hayter schließlich einen Zweijahresvertrag bei Soudal – Quick-Step, in der Hoffnung auf einen Neuanfang.
Ein zäher Start ins Jahr
Doch der Neubeginn verlief schleppend. Im Frühjahr 2025 erreichte Hayter lediglich ein einziges Top-Ten-Ergebnis – im Zeitfahren der Baskenland-Rundfahrt. Beim Giro d’Italia bekam er zwar Freiheiten, konnte sie aber kaum nutzen. Weder im Sprint noch in den Bergen war er konkurrenzfähig. Nur dreimal schaffte er es in die Top 100 einer Etappe, einmal wagte er einen Ausreißversuch – erfolglos. Ein enttäuschender Saisonstart, der Zweifel an seiner Form aufkommen ließ.
Doch der Rückschlag wirkte wie ein Weckruf. Nicht selten entwickeln sich Karrieren an ihren Tiefpunkten weiter – und genau das schien bei Hayter der Fall zu sein.
Triumph im Kampf gegen die Uhr
Nach dem Giro startete der 26-Jährige durch. Bei der Baloise Belgium Tour besiegte er ausgerechnet seinen langjährigen Zeitfahrmentor und Landsmann Filippo Ganna – ein symbolträchtiger Triumph. Es war der erste Beweis, dass Hayter das Potenzial hat, die neue Zeitfahrinstanz von Quick-Step zu werden, insbesondere nach dem Abgang von Remco Evenepoel.
Seinen britischen Meistertitel im Zeitfahren bestätigte er anschließend mit beeindruckender Konstanz: Siege beim Einzelzeitfahren der Tour de Luxembourg, beim Prolog und dem abschließenden Zeitfahren der Tour of Holland sowie Platz vier bei den Europameisterschaften. Seine Bilanz zeigte klar: Hayter hat sein Profil geschärft.
Trotz fehlender Gesamtwertungserfolge war 2024 ein Jahr des Wandels. Der Brite trat nicht mehr als explosiver Puncheur auf, sondern als Spezialist gegen die Uhr – stabil, berechenbar, präzise. Auf der Königsetappe der Holland-Rundfahrt beendete ein Sturz seine Saison vorzeitig, doch das Gesamtbild war deutlich: Aus dem einstigen Allroundtalent ist ein fokussierter Zeitfahrer geworden, der seine eigene Nische gefunden hat.
Die Wiederentdeckung der Leidenschaft
Hayters Weg steht sinnbildlich für eine Generation von Fahrern, die sich neu definieren müssen, sobald der Druck im Spitzenteam zu groß wird. Bei INEOS fühlte er sich eingeengt, bei Quick-Step hat er sich befreit – nicht durch Siege in den Bergen oder Massensprints, sondern durch Präzision und Kontrolle im Kampf gegen die Uhr.
„Ich fahre wieder mit Leidenschaft“, sagte Hayter nach seinem ersten Sieg im neuen Trikot. Es ist dieser Satz, der seine ganze Saison beschreibt – und womöglich auch der Anfang einer neuen Karrierephase markiert.
Hayters bisherige Zeit bei Quick-Step war von den Zeitfahren geprägt. @Imago