"Er wird zum Angsthasen" - Wuyts schimpft über Primoz Roglic wegen seiner Leistung beim Giro d'Italia

Radsport
Dienstag, 20 Mai 2025 um 14:20
primozroglic
Während der Giro d’Italia 2025 in seine zehnte Etappe geht – ein flaches, schnelles Einzelzeitfahren – befindet sich der Sieger der Ausgabe von 2023 erneut in einer Situation, die ihm allzu bekannt, aber sicher nicht willkommen ist: in der Rolle des Verfolgers. Nach dem Chaos auf den Schotterstraßen rund um Siena am Sonntag liegt Roglic nun auf Rang zehn der Gesamtwertung, mehr als zwei Minuten hinter dem Rosa Trikot von Isaac Del Toro und rund eine Minute hinter Juan Ayuso, dem Mann, der aktuell als sein gefährlichster Widersacher gilt. Und wieder einmal steht der ehemalige Olympiasieger im Zeitfahren vor einem Loch – die Frage ist nur: Kann er sich diesmal wieder herausgraben?
Die 9. Etappe war für Roglic ein weiterer Tiefpunkt in einer ohnehin schon von Rückschlägen geprägten Karriere. Ein Sturz inmitten des Staubgewirbels, ein Reifenschaden zur Unzeit, keine Unterstützung durch das Team – und ein Peloton, das erbarmungslos weiterzog. Der Zeitverlust war das eine, aber schwerer wogen wohl der Bruch im Rhythmus, der mentale Knacks und das wachsende Gefühl, dass ihm diese Rundfahrt zwischen den Fingern entgleitet.
Roglic kennt dieses Szenario. Er hat sich schon oft aus schwierigen Situationen zurückgekämpft, mit einer Entschlossenheit, die ihm den Ruf eines mental unerschütterlichen Athleten eingebracht hat. Doch diesmal wirkt alles fragiler. Die Unterstützung seines Teams ist dünn, die Konkurrenz jünger, frischer, aggressiver. Und die Fehler – so klein sie auch sein mögen – häufen sich.
Das heutige Zeitfahren bietet ihm eine Gelegenheit, zumindest wieder Boden gutzumachen. Doch um sich tatsächlich zurück ins Rennen um Rosa zu katapultieren, braucht es mehr als einen soliden Ritt gegen die Uhr. Roglic muss das Feuer neu entfachen – und zeigen, dass er nicht nur überlebt, sondern noch gewinnen will.
Im Podcast „Wuyts & Vlaeminck“ von Het Laatste Nieuws diente Primoz Roglics Rückschlag auf der Schotteretappe des Giro d’Italia 2025 als Ausgangspunkt für eine unbequeme Analyse. Michel Wuyts, jahrzehntelanger Beobachter der Radsportszene, stellte eine provokante Frage: „Haben Sie jemals gesehen, wie Roglic sich aus einer scheinbar verlorenen Position erfolgreich zurückgekämpft hat?“ Für Wuyts sei Roglic ein Fahrer, der seine Erfolge aus der Position der Kontrolle erzielt habe – nie als Jäger, immer als Gejagter. Bei seinen vier Vuelta-Siegen sei er stets der Mann an der Spitze gewesen.
Diese Einschätzung ist zugespitzt, und sie greift zu kurz. Denn ausgerechnet sein jüngster Grand-Tour-Triumph – der Vuelta-Sieg 2024 – widerspricht dieser These. Roglic verlor damals früh über fünf Minuten auf Ben O’Connor, nur um am Ende doch ganz oben zu stehen. Dennoch ist Wuyts’ Aussage nicht ohne Fundament: Der Slowene hat selten die Bühne des Underdogs gesucht oder geprägt. Seine Grand-Tour-Strategie war meist geprägt von Kontrolle, Berechnung, Präzision – nicht von wilder Aufholjagd.
Roglics dramatische Niederlage bei der Tour de France 2020, als Tadej Pogacar ihn im letzten Zeitfahren spektakulär entthronte, bleibt dabei eine psychologische Narbe – auch für Außenstehende. Zwar holte er sich 2023 den Giro-Sieg in einem knappen Duell mit Geraint Thomas, doch auch das war eher ein Abnutzungskampf auf Augenhöhe als ein episches Comeback. Und das Drama vom Sonntag? Es war anders. Kein gemächlicher Zeitverlust, sondern ein Bruch – durch Sturz, Defekt und fehlende Teamunterstützung auf Schotter.
„Es stand irgendwie in den Sternen, dass er auf einer wichtigen Etappe wieder Pech haben würde“, sagte Belgiens Nationaltrainer Serge Pauwels. Eine Anspielung auf die Tour 2022, als Roglic ebenfalls auf dem Pflaster unglücklich stürzte. Das Muster: Wenn es unberechenbar wird, wenn das Drehbuch reißt, gerät Roglic ins Straucheln.
Wuyts ging noch weiter – und las Roglics Körpersprache auf dem Rad: „Dann wird er ein Angsthase. Die Beine etwas weiter auseinander, der Blick schweift nach links und rechts. Die Ungewissheit steht ihm ins Gesicht geschrieben.“ Ein harter Vorwurf, zumal Wuyts am Ende selbst einräumt: „Er ist ein harter Kerl, nicht wahr.“ Genau diese Dualität macht Roglic so faszinierend – ein brillanter Chronoman, Grand-Tour-Sieger, Olympiasieger, aber auch ein Fahrer, der manchmal zu hadern scheint, wenn der Plan nicht aufgeht. Seine Karriere ist voll von Erfolgen, aber eben auch von Momenten, in denen er auf Unsicherheit mit Vorsicht statt mit Angriff reagierte.
Das heutige Zeitfahren bietet eine Gelegenheit zur Korrektur. Keine Schotterpassagen, keine Stürze, keine Teamtaktik – zumindest theoretisch. Eine kontrollierte Etappe auf dem Papier. Für Roglic ist es die Chance, sich zurückzumelden, seinen Rückstand auf Del Toro zu verkürzen, vielleicht sogar Ayuso zu überholen und den Giro neu zu gestalten. Und der Zeitpunkt könnte nicht besser sein: Schon auf der zweiten Etappe zeigte er mit einem starken Zeitfahren, dass er trotz Rückschlägen körperlich in Form ist.
Doch der Gegner ist kein Phantom. Del Toro mag erst 21 sein, doch bislang hat er keine Schwäche gezeigt. Ayuso wirkt konstant, strukturiert, gefährlich. Und Roglic? Sein Team Red Bull – BORA – hansgrohe zeigte sich am Sonntag erschreckend dünn besetzt. Giulio Pellizzari war der einzige Helfer mit sichtbarer Präsenz. Fehlt der ausgefallene Jai Hindley jetzt schon?
Wuyts liegt mit seiner Analyse nicht völlig daneben, doch er unterschätzt Roglics Fähigkeit zur Reaktion – auch unter Druck. Dass dieser Giro kein Selbstläufer wird, ist klar. Aber heute hat Roglic die Möglichkeit, das Narrativ zu drehen. Der erste Tritt ins Pedal im Zeitfahren könnte der erste Schritt sein zurück zu einem erneuten Sieg – nicht aus der Kontrolle heraus, sondern aus der Notwendigkeit, alles zu riskieren.
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