Etappe 8 des Giro d’Italia brachte Luke Plapp einen beeindruckenden und wohlverdienten Sieg, nachdem ein erbitterter Kampf schließlich dazu führte, dass sich die Ausreißergruppe gegen das Peloton durchsetzen konnte. 20 Fahrer bildeten die Gruppe des Tages, die sich erst nach über 80 Kilometern formte – mit einem Maß an Entschlossenheit, das in den bisherigen Etappen nur selten zu sehen war.
Die beiden Astana-Teamkollegen Diego Ulissi und Lorenzo Fortunato erkannten früh, dass sie Chancen auf das Maglia Rosa hatten – und genau das trat schließlich ein. Ulissi übernahm das Trikot des Gesamtführenden, Fortunato rückte auf Rang zwei vor und baute gleichzeitig seinen Vorsprung in der Maglia Azzurra-Wertung aus – ein nahezu perfekter Tag für das kasachische Team.
Nach dem Ende der Etappe baten wir einige unserer Autoren um ihre Einschätzung zum heutigen Renngeschehen:
Rúben Silva (CyclingUpToDate)
Ein richtiger Renntag – endlich! Es war schön zu sehen, dass es endlich wieder einen spannenden Kampf um die Ausreißergruppe gab – oft der aufregendste Teil bei einigen Etappen großer Rundfahrten. Über eine Stunde lang konnten wir das Spektakel auf flachen und leicht welligen Straßen verfolgen. Die Tatsache, dass es so schwer war, eine Gruppe zu bilden – und dass sie sich schließlich am Fuße des Hauptanstiegs des Tages formte – bedeutete, dass vor allem eines zählte: Ermüdung.
Es war kein Tag, an dem Taktik oder Form besonders entscheidend waren, sondern Ausdauer und Widerstandsfähigkeit gegen Erschöpfung waren ausschlaggebend im Kampf um den Etappensieg. Einige sehr starke Fahrer waren dabei, aber fast alle gingen mehrmals ans Limit und hatten in der letzten Rennstunde kaum noch Beine. Die letzte Stunde war weniger spannend, trübte das Ergebnis des Tages jedoch keineswegs.
Luke Plapp ist jemand, der selten seine Bestform zeigt, aber wenn es soweit ist, gehört er zu den besten der Welt. Solche Solo-Attacken liegen ihm, und es wäre gut, wenn er sich künftig auf Ausreißerrollen konzentrieren würde und seine Ambitionen im Gesamtklassement zurückstellt.
Es war ein ruhiger Tag im Kampf um die Gesamtwertung, aber das war zu erwarten. Der moderne Radsport ist so – mit dem Mini-Strade-Bianche-Abschnitt morgen wollte heute niemand zu früh etwas riskieren, was nachvollziehbar ist. Dennoch sorgten Tom Pidcock und Juan Ayuso für etwas Action im Finale.
Das Rosa Trikot wechselt den Besitzer – ein positiver Aspekt des Tages. Und das zu einem Fahrer, den ich nicht auf dem Zettel hatte. Ein Routinier mit zahlreichen Giro-Etappensiegen über die letzten anderthalb Jahrzehnte – es ist großartig zu sehen, wie ein Veteran zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere solch ein Ergebnis einfährt, vor allem nach einem unerwarteten Wechsel zu Astana, der sich nun als goldrichtig herausstellt.
Auch wenn es vermutlich nur ein Tag im Rosa Trikot bleibt, wird dieser Tag für Diego Ulissi etwas ganz Besonderes sein. Und Lorenzo Fortunato hat sich nicht nur fest in den GC-Kampf gebracht, sondern auch die Bergwertung dominiert. Das Warten im Finale wurde also belohnt – aber ich muss sagen, wäre das Trikot bei Roglic geblieben, hätte ich heute deutlich mehr Kritik geübt und den Tag sicher nicht so positiv gesehen!
Pascal Michiels (RadsportAktuell)
Meine Erkenntnis des Tages ist, dass Primož Roglič sich im Peloton Freunde macht – indem er Diego das Rosa Trikot überlässt und Italien nach vier Jahren wieder ein Stück Radsportglück schenkt. Für mich waren das eher Anzeichen von Schwäche als von Kontrolle – im Gegensatz zu Juan Ayuso. Roglič saß bei diesem Halbangriff von Pidcock einfach zu weit hinten. Wenn er sich bei 100 % fühlt, müsste er auf diesem Mini-Anstieg am Ende der Etappe ganz vorne mit dabei sein. Auch Carapaz macht einen starken Eindruck.
Es war also nicht nur Diegos Tag, sondern auch ein italienischer Tag. Und das braucht der Giro. Man sieht Streckenabschnitte, an denen kaum Zuschauer stehen – der Giro braucht italienische Sieger.
Ondřej Zhasil (CyclingUpToDate)
Es wirkt fast so, als hätte Roglič Angst, jemandem mehr als ein paar Sekunden zu überlassen. Die heutige Ausreißergruppe bestand im Grunde nur aus Ulissi – der in den Bergen kaum mit den Besten mithalten kann – und Fortunato, der vermutlich schon bei der morgigen „Mini-Strade“-Etappe und dem Zeitfahren am Dienstag mehrere Minuten verlieren wird. Trotzdem hat man die Gruppe bewusst an der kurzen Leine gehalten – warum, ist mir ehrlich gesagt unklar.
Hätten sie der Gruppe 10 oder mehr Minuten gegeben, hätte das am Gesamtklassement nichts geändert. Dafür hätte das Team sich in der kommenden Woche nicht ständig an der Spitze des Feldes aufreiben müssen...
Félix Serna (CyclingUpToDate)
Die bisher beste Etappe des Giro – und zugleich die spannendste, auch wenn das nach den eher zähen Vortagen keine allzu große Hürde war. Es hat eine Woche gedauert, aber endlich haben wir etwas gesehen, das ich bislang vermisst habe: ein harter Kampf um die Ausreißergruppe und schließlich eine große, starke Gruppe, die sich absetzen und um den Etappensieg kämpfen konnte. Die ersten 80 Kilometer waren brutal – eine Attacke jagte die nächste, und keine Gruppe konnte sich so recht absetzen.
Jeder wollte in die Gruppe, und jedes Mal, wenn es einer kleinen Gruppe gelang, sich abzusetzen, war da sofort ein Team im Feld, das unzufrieden war – entweder weil sie niemanden vorne hatten oder weil sie noch mehr Fahrer dorthin bringen wollten. So viel Ehrgeiz, so viel Kampf – das machte die ersten zwei Stunden extrem unterhaltsam.
Und auch nach Bildung der Gruppe ging der Kampf weiter. Was mich am meisten überraschte, war, wie viele Attacken innerhalb der Ausreißergruppe gezündet wurden. Eine nach der anderen, obwohl das Feld weit zurücklag und der Tag noch lang war. Ich könnte mich kaum entscheiden, wer der kämpferischste Fahrer des Tages war – zehn Fahrer hätten diesen Preis verdient. Ein Tag voller Ausdauer und Kampfgeist, den ich mir viel öfter wünsche.
Was ich allerdings nicht ganz verstanden habe, war die Herangehensweise der Teams im Feld – obwohl Fortunato vorne mit dabei war. Es wirkte fast so, als sei es ihnen egal, dass er sich damit an die Spitze der Gesamtwertung schieben könnte. Dabei wurde er letztes Jahr bereits Zwölfter beim Giro, hat vor wenigen Wochen stark bei der Tour de Romandie aufgetrumpft – mit einem Etappensieg und Platz vier im Gesamtklassement – und zeigte die ganze Saison über gute Leistungen.
Sein Level hat sich ganz klar gesteigert, und er hat in der ersten Woche dieses Giros eine hervorragende Form gezeigt. Ihm über drei Minuten zu schenken (und es hätten leicht mehr sein können), ist eine riskante Taktik. Man kann natürlich argumentieren, dass Roglič und Ayuso ihn nicht als ernste Bedrohung sehen – er liegt aktuell ja nur ein paar Sekunden vor ihnen und im Zeitfahren dürften sie die Nase vorn haben, denn Fortunato ist nun mal kein Spezialist. Aber er hat jetzt schon 32 Sekunden Vorsprung auf Tiberi, 38 auf Storer, 51 auf Bernal...
Und das alles, nachdem er den Tag drei Minuten hinter Roglič begonnen hatte. Das erinnert stark an Ben O’Connor bei der Vuelta im letzten Jahr: auch er wurde zunächst unterschätzt, bekam großzügig Zeit geschenkt – und beendete die Rundfahrt dann als Zweiter, geschlagen nur von Roglič. Offenbar haben das viele vergessen. Aber Fortunato könnte gut der neue O’Connor werden.
Carlos Silva (CiclismoAtual)
Eine typische Etappe, um das Rosa Trikot loszuwerden – zumindest aus Sicht von Red Bull. Eine starke Ausreißergruppe setzte sich früh ab, und im Hauptfeld war deutlich zu erkennen, dass es kein Team gab, das ernsthaft Lust hatte, die Gruppe zurückzuholen. Die Fluchtgruppe belebte die Etappe, und die Härte des Profils sorgte für eine natürliche Selektion unter den Besten. Luke Plapp attackierte schließlich aus der Gruppe heraus – und niemand hatte die Beine, um ihm zu folgen.
Im Hintergrund ging es um die Frage, wer das Führungstrikot übernehmen würde: Diego Ulissi oder Lorenzo Fortunato. Vier Jahre und fünf Tage war es her, dass ein Italiener beim Giro wieder Rosa getragen hatte. Auf dem Papier war der Tag für die Ausreißer gemacht – und genau so kam es auch.
Und wie auch morgen, bei der Mini-Strade-Bianche-Etappe, wird es ums nackte Überleben für die Klassementfahrer gehen. Acht Tage Rennzeit hat es gebraucht, bis im Giro endlich so etwas wie Action aufkam. Ich finde es ehrlich gesagt schwierig, über Taktiken zu sprechen – denn bislang habe ich noch kein Team mit echten Gesamtambitionen gesehen, das aktiv in das Rennen eingegriffen hätte. Bisher geht es mehr darum, die Leute zu unterhalten.
Víctor LF (CiclismoAlDía)
Ich finde, UAE zeigt viel Charakter im Kampf um das Gesamtklassement. Ich war begeistert zu sehen, wie Juan Ayuso den Sprint am Ende gefahren ist, um sogar nur eine oder zwei Sekunden auf Roglič gutzumachen. Sie zeigen einen Hunger, den man bei Red Bull BORA bisher noch nicht gesehen hat.
Jorge P. Borreguero (CiclismoAlDía)
Ich stimme Victors Meinung ziemlich zu. Wir sind bereits eine Woche beim Giro und von Roglics Team wird immer noch erwartet, dass es jetzt auf dem Höhepunkt des Rennens zu fahren beginnt – nicht nur im Kampf um das Gesamtklassement, sondern auch, weil UAE um die Fluchtgruppen kämpft, wie heute mit Igor Arrieta, der einer der stärksten Fahrer des Tages war.
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