Drei Jahre lang leitete Stéphane Heulot das
Lotto-Team als Generaldirektor. In diesem Sommer endete seine Amtszeit – und der Franzose zieht ein ernüchterndes Fazit. In einem ausführlichen Gespräch mit Cyclism’Actu rechnet Heulot mit den aktuellen Zuständen im Profi-Radsport ab: zu viel Politik, zu wenig Menschlichkeit und ein Geschäftsmodell, das seiner Meinung nach kurz vor dem Kollaps steht.
„Es war kein Burnout“, betont Heulot. „Ich habe das Gefühl, meine Aufgabe erfüllt zu haben. Ich kam zu einem Team, das finanziell, logistisch und menschlich am Boden lag. Es gab kein wirkliches Management. Wir mussten alles neu aufbauen – aber nach drei Jahren war die Grenze erreicht.“ Tatsächlich hat sich das Lotto-Team sportlich stabilisiert und kehrt 2026 in die WorldTour zurück. Junge Talente sollen die Zukunft des belgischen Traditionsrennstalls sichern.
Hinter den Kulissen jedoch herrschte Chaos. Heulot berichtet von einer zunehmend politisierten Struktur und einer gescheiterten Kommunikation zwischen Management und Besitzern. „In der zweiten Woche der Tour war ich gerade dabei, mit neuen Sponsoren die letzten Details zu besprechen. Als ich das Projekt dem Vorstand vorstellte, hieß es plötzlich, ich sei zu spät – die Gespräche mit Intermarché liefen bereits“, erzählt er. „Ich war fassungslos. Alles war bereit, um den neuen Co-Sponsor anzukündigen. Von diesem Moment an war alles anders.“
Die geplante Fusion zwischen Lotto und Intermarché habe die letzten Monate völlig bestimmt – mit fatalen Folgen. „Die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen wurden, hatte nichts mehr mit menschlichen Werten zu tun“, kritisiert Heulot. „Ich unterscheide klar zwischen den Menschen im Team und dem Besitzsystem, das viel zu politisch agiert. Meine Geduld und mein Verständnis haben da ihre Grenzen erreicht.“
Heulot sieht den Profi-Radsport an einem Wendepunkt. „Das Lob gebührt den Fahrern. Sie sind es, die den Sport tragen. Aber Verträge werden nicht mehr respektiert, langfristige Visionen fehlen. Wenn Absprachen nicht eingehalten werden, bricht das Gleichgewicht zusammen.“ Der 53-Jährige warnt vor einem strukturellen Problem: „Das Geschäftsmodell des Radsports ist nicht nachhaltig. Wir reden nur über Wertschöpfung an der Spitze, aber nie über Umverteilung an der Basis. Amateurstrukturen zerfallen, Subventionen schrumpfen, lokale Behörden ziehen sich zurück.“
Für Heulot ist klar: Wenn der Unterbau verschwindet, verliert der Radsport seine Identität. „Wir vergessen die Freiwilligen, Trainer und Betreuer – die Menschen, die den Nachwuchs begleiten und Werte vermitteln. Ohne sie bleibt der Radsport eine leere Hülle.“ Trotzdem will der Franzose dem Sport treu bleiben. „Mein Sohn hat ein Juniorenteam nach dem Vorbild der alten Sojasun Espoirs gegründet. Der Radsport ist eine Familienleidenschaft, die mein Vater mir vererbt hat. Aber der Sport besteht nicht nur aus der Tour de France oder Pogacar. Wenn wir die Basis vergessen, wird es bald zu spät sein.“