Das heimische Publikum bei den Grand Tours wartet seit Jahren vergeblich auf einen nationalen Triumph. Der letzte Fahrer, dem ein Heimsieg gelang, war
Vincenzo Nibali im Jahr 2016. Seitdem bleibt Italien auf der Suche nach dem nächsten „Haifisch“, der den Giro d’Italia wieder in nationale Hände bringt.
Heute ist Nibali Botschafter der Corsa Rosa – und auch wenn er das Rampenlicht mittlerweile den aktiven Profis überlässt, bleibt seine Stimme im Peloton hörbar. Im Gespräch mit Marca vor dem Start des Giro 2025 blickte der Sizilianer mit einem Hauch Wehmut auf die Veränderungen im modernen Radsport: „Der neue Contador, der neue Nibali... Es wird sie geben. Aber der Sport hat sich verändert. Heute geht es nur noch um Watt und Daten.“
Was Nibali vermisst, ist die instinktive, mutige Fahrweise früherer Jahre. „Früher wurden Rennen gelesen, heute wird alles gemessen. Ich sage nicht, dass das schlechter ist – aber es ist anders. Ich mochte die Strategie, das Spiel mit den Gegnern. Heute ist dafür kaum noch Platz.“
Trotz seines kritischen Blicks zeigt sich der zweifache Giro-Sieger begeistert vom aktuellen Rennen. Nach drei Etappen sei die Lage in der Gesamtwertung offen – genau so, wie er es sich erhofft habe: „Roglic bringt Erfahrung und Hunger mit. Ayuso ist jung, aber außergewöhnlich talentiert.“
Auf die Frage, ob ein italienischer Fahrer in die Fußstapfen Nibalis treten könne, nennt er einen Namen: Giulio Ciccone. „Er kommt mit einem Sieg im Rücken und ist in einer großartigen Verfassung. Das Podium? Es wird schwer, aber er hat das Potenzial.“
Auch zur Entwicklung des Sports äußert sich Nibali positiv. Er lobt die gestiegene finanzielle Wertschätzung für Spitzenfahrer: „4 oder 5 Millionen Euro im Jahr – das ist gut so. Der Radsport ist kein zweitklassiger Sport mehr. Wir sind jetzt auf dem Niveau der Serie A.“
Ein spannender Aspekt der weiteren Professionalisierung sei das Projekt One Cycling, das von einem saudi-arabischen Investmentfonds vorangetrieben wird. Zwar fehlt bislang eine offizielle Ankündigung, doch Nibali sieht darin eine Chance – ebenso wie in einer möglichen Expansion in die USA. Erste Pläne für ein hochklassiges Etappenrennen in Colorado ab 2026 existieren bereits. „Amerika könnte die nächste große Grenze sein. Es wäre spannend, dorthin zurückzukehren – mit großen Rennen und neuem Publikum.“