Die elfte Etappe der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt bot alles, was Radsport zu bieten hat: taktische Rafinesse, mutige Angriffe, einen dramatischen Sturz des Weltmeisters und ein beeindruckendes Zeichen von Fairness im Peloton. Im
„Sportschau Tourfunk“-Podcast analysierten Moritz Casalette, Holger Gerska, Michael Ostermann und ARD-Experte Fabian Wegmann die Ereignisse dieses Tages – mit tiefgehenden Einblicken und spannenden O-Tönen.
Ein Sturz, der alles veränderte
Nur rund sieben Kilometer vor dem Ziel der Etappe in Toulouse kam es zur Schrecksekunde:
Tadej Pogacar, Träger des Regenbogentrikots und Top-Favorit auf den Toursieg, stürzte.
„Pogacar ist gestürzt! Und das ist außerhalb der Sturzzone,“ kommentierte Holger Gerska live. Die Folge: Kein automatischer Zeitbonus, sondern echte Gefahr, im Gesamtklassement zurückzufallen. Die Szene selbst war chaotisch und sinnbildlich für die Hektik in der Endphase.
Für einen kurzen Moment hielt die Radsport-Welt auf der 11. Etappe die Luft an: Tadej Pogacar kam nur wenige Augenblicke vor Schluss zu Fall
Fabian Wegmann erklärte die Situation so: „Er war links außen, es war eine langgezogene Rechtskurve, und er hatte gerade gefunkt, hatte die Hand vom Lenker. Johannessen fährt rechts rüber, pogacar bleibt geradeaus – dann fliegt ihm einfach stumpf das Vorderrad weg.“
Michael Ostermann, der am Bus von UAE Team Emirates stand, lieferte die medizinische Einschätzung: „Er hatte eine stark blutende Wunde am linken Oberarm, die Hose war zerrissen. Aber er hatte verdammt viel Glück. Wenn er voll mit der Schulter gegen den Bordstein gekracht wäre, wäre die Tour für ihn vorbei gewesen.“
Respekt trotz Rivalität: Das Feld wartet
Trotz des Sturzes entschieden sich die Favoriten im Peloton, das Tempo herauszunehmen.
Mauro Gianetti, Teamchef von UAE Team Emirates, zeigte sich im O-Ton tief beeindruckt:
„Es war ein Sturz im Chaos des Rennens, aber zum Glück keine große Verletzung. Was uns aber alle beeindruckt hat: Alle Spitzenfahrer haben gestoppt und auf Tadej gewartet. Das ist Chapeau, das ist Radsport.“
Tatsächlich gab es keinen Grund, aus sportlicher Sicht zu warten. Pogacar trug nicht das Gelbe Trikot. Doch die Großen der Szene zeigten Klasse. „Keiner will die Tour wegen eines Sturzes des Rivalen gewinnen“, betonte Fabian Wegmann.
Ein Detail aus dem Feld:
Florian Lipowitz hatte den Sturz nicht einmal mitbekommen. „Der war ein Stück weiter vorne,“ so Wegmann. Solche Missverständnisse zeigen, wie schwer es im Rennen ist, die komplette Lage zu überblicken.
Wie sehr wird Pogacar der Sturz behindern?
Auch wenn die Verletzungen nicht gravierend erscheinen, rechnet Fabian Wegmann mit Folgen: „Die Prellungen kommen erst ein bis zwei Tage später. Heute geht das noch mit Adrenalin, aber beim Bergzeitfahren oder in den Pyrenäen könnte es schwierig werden.“
Der Sturz könnte auch psychologische Auswirkungen haben. „Die Erholung ist ein Problem. Du schläfst schlechter, der Körper heilt die Wunden und verliert dabei Energie“, fügte Moritz Casalette hinzu.
Wegmann analysierte weiter: „Es sind viele kleine Faktoren: Wenn du z. B. eine Wunde am Gesäß hast, dann reibt das die ganze Zeit, das stresst den Körper.“
Vingegaard wittert seine Chance
Im Vorfeld der Etappe hatte sich
Jonas Vingegaard zu seinen taktischen Überlegungen geäußert:
„Er ist so ein starker Fahrer, da musst du etwas probieren, um ihn zu attackieren. Wir wollen einfach weiter kämpfen und attackieren – so fahren wir, und sie fahren eben, wie sie wollen.“
Dass Vingegaard den Schlussanstieg von morgen bereits aus einem vergangenen Toursieg kennt, ist ein Vorteil. „Das hilft natürlich“, so Holger Gerska. Und weiter: „Visma – Lease a Bike ist in Form: Sepp Kuss, Wout Van Aert, Matteo Jorgenson – sie haben alle bewiesen, dass sie bereit sind.“
Michael Ostermann sah ebenfalls Momentum auf Seiten Vingegaards: „Sie sind hier, um anzugreifen. Diese aggressive Fahrweise von Anfang an, das ist ein Statement.“
Wie geht es weiter? Das Zeitfahren als Schlüsselmoment
Die nächste Etappe wird als Bergzeitfahren ausgetragen. Ein Vorteil für Pogacar? „Es ist ein Bergzeitfahren, das heißt, er muss nicht auf dem Zeitfahrlenker liegen, was mit seiner Wunde schwierig wäre“, so Ostermann.
Doch die Frage bleibt: Zeitfahrmaschine oder normales Rennrad? Fabian Wegmann dazu: „Wenn sie sich auf dem Zeitfahrrad ausgefahren haben, gehe ich davon aus, dass sie es auch fahren. Das machen sie, um sich an die Position zu gewöhnen.“
Wegmann fügte hinzu: „Bei einer längeren Etappe mit mehr Flachanteil wäre ein Radwechsel denkbar gewesen. Aber hier macht das keinen Sinn.“
Ein verdienter Sieger: Jonas Abrahamsen
Fast zur Nebensache wurde, dass der Norweger Jonas Abrahamsen die Etappe gewann. „Er war von Anfang an in der Ausreißergruppe und hat sich gegen Mauro Schmid im Finale durchgesetzt“, analysierte Holger Gerska.
Ein bemerkenswerter Sieg für einen Fahrer, dessen Team sich über Jahre hinweg vom kleinen Wildcard-Starter zu einem ernstzunehmenden Akteur entwickelt hat. Fabian Wegmann sagte: „Sie sind jedes Jahr besser geworden, und so ein Toursieg ist natürlich riesig für das Team.“
Florian Lipowitz: Gereizte Stimmung im Peloton
Eine interessante Randnotiz kam von Florian Lipowitz. In einem eingespielten O-Ton zeigte er sich verwundert über das Verhalten im Feld:
„Das halbe Feld hat einmal zum Pinkeln angehalten, und vorne sind sie trotzdem zum Attackieren gegangen. Ich glaube, da war der ein oder andere heute ziemlich sauer.“
Fabian Wegmann erklärte die soziale Norm im Peloton: „Wenn viele anhalten, attackiert man nicht. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Heute wurde es gebrochen.“
Die Pyrenäen rufen: Drei Tage, die alles entscheiden können
Mit dem Bergzeitfahren beginnt eine Schlüsselphase der diesjährigen Tour, die in drei aufeinanderfolgenden Tagen durch die Pyrenäen führen wird. Gerade in dieser Phase entscheidet oft nicht nur die Form der Beine, sondern auch die mentale Widerstandsfähigkeit. Fabian Wegmann bringt es auf den Punkt: „Wenn du einmal Schmerzen hast, schläfst du schlecht, erholst dich schlechter – und dann summieren sich die kleinen Defizite.“
Im Vorteil könnte dabei Jonas Vingegaard sein, der auf Erfahrung und ein starkes Team bauen kann. „Wenn du einen Sepp Kuss oder Matteo Jorgenson bei dir hast, kannst du attackieren – Pogacar muss im Zweifel immer selbst reagieren“, analysiert Holger Gerska.
Auch Florian Lipowitz ist nicht zu unterschätzen. Der junge Deutsche fährt eine starke Tour und könnte gerade in den Bergen für Überraschungen sorgen – sei es als Helfer oder sogar in einer Fluchtgruppe.
Fazit: Die Tour nimmt Fahrt auf
Die elfte Etappe der
Tour de France 2025 dürfte als eine der emotionalsten in Erinnerung bleiben. Tadej Pogacar stürzt, das Feld zeigt Sportsgeist, und Jonas Abrahamsen krönt sich zum verdienten Etappensieger.
Der Blick richtet sich nun auf das kommende Bergzeitfahren. Wird Pogacar die Schmerzen ausblenden können? Kann Vingegaard angreifen und Zeit gutmachen? Und wie entwickelt sich das Rennen zwischen dem Team Visma und UAE?