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Bradley Wiggins hat schwere Vorwürfe gegen den britischen Radsportverband erhoben. In seiner neuen Autobiografie The Chain beschreibt der Tour-de-France-Sieger von 2012 eine „zutiefst beunruhigende Kultur“ innerhalb des nationalen Programms, die von Sexismus, Rassismus und Homophobie geprägt gewesen sei.
Der fünffache Olympiasieger berichtet von diskriminierenden Kommentaren hochrangiger Verantwortlicher, die sich unter anderem gegen die Athletinnen Victoria Pendleton und Shanaze Reade richteten. Ein homosexuelles Mitglied des Trainerstabs sei laut Wiggins aufgrund von „Homophobie in einem anderen Ausmaß“ sogar gezwungen gewesen, seinen Posten zu verlassen. „Ich habe das Wort ‚f*****‘ gehört, um ein schwules Mitglied des Führungsteams zu beschreiben“, schreibt Wiggins. „Am Ende kündigte er, weil er in dieser Atmosphäre nicht mehr arbeiten konnte.“
Auch gegenüber den Fahrerinnen habe es herabwürdigende Bemerkungen gegeben. Wiggins schildert eine Szene vor einem Weltcup in Manchester, als sich das
Bahn-Team auf das Training vorbereitete. „Victoria Pendleton trainierte gerade auf der Strecke. Ich fragte einen Betreuer, wie es ihr gehe. Er antwortete: ‚Gut, aber sie wird noch besser, denn diese Woche kommen die Maler.‘ Das Schweigen war ohrenbetäubend. Wir waren vier Jungs – keine Chorknaben –, aber jedem war klar, dass das völlig unangebracht war.“
Solche Erlebnisse hätten ihn nachhaltig geprägt, so Wiggins. „Im Spitzensport war die Grenze zwischen Kritik und Abwertung so fließend, dass sie bedeutungslos war. Hätte ich meine Tochter in diesem System haben wollen? Auf keinen Fall“, reflektiert der 45-Jährige. Besonders die Art, wie über Frauen gesprochen wurde, sei „furchtbar“ gewesen.
Der Brite kritisiert außerdem eine Doppelmoral innerhalb der Organisation. Während Pendletons damaliger Partner und Trainer nach ihrer Beziehung seinen Job verlor, seien ähnliche Fälle bei anderen Mitarbeiter*innen ignoriert worden. „Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Soweit ich weiß, ist das kein Verbrechen“, schreibt Wiggins.
British Cycling reagiert auf die Enthüllungen
In einer Stellungnahme erklärte British Cycling, man toleriere „keine Form der Diskriminierung“. Seit einer unabhängigen Überprüfung im Jahr 2017 habe es „bedeutende kulturelle Reformen“ gegeben. Eine Sprecherin betonte: „Wir haben in den vergangenen zwei olympischen Zyklen einen fahrerzentrierten Kulturwandel eingeleitet. Unser Ziel ist es, eine respektvolle und integrative Umgebung zu schaffen, in der alle Athleten erfolgreich sein können.“
Wiggins, der sich 2016 vom Profiradsport zurückzog, enthüllte zudem, dass er ein Angebot für eine Statue vor dem Velodrom in Manchester abgelehnt habe. Er habe sich vom Verband „abgelehnt und nicht gewürdigt“ gefühlt. Mit The Chain blickt der einstige Held der „goldenen Ära“ des britischen Radsports nicht nur auf seine größten Triumphe zurück – sondern auch auf die Schattenseiten eines Systems, das lange als Vorbild galt.