Was als ehrgeizige Idee begann, droht sich in einen organisatorischen Albtraum zu verwandeln. Die geplante Fusion zwischen
Lotto-Dstny und Intermarché–Wanty sollte ursprünglich den belgischen Radsport stärken und finanzielle Stabilität bringen – doch kurz vor November herrscht vor allem Verwirrung, Unsicherheit und Frust. Weder Management noch Fahrer wissen genau, wie das neue Projekt aussehen soll.
Während die offizielle Bestätigung des Zusammenschlusses noch aussteht, mehren sich kritische Stimmen. Besonders
Johan Bruyneel und Spencer Martin sparten im Podcast The Move nicht mit scharfen Worten: „Diese Fusion ist eine Katastrophe“, sagte Bruyneel. „Wir hören von Fahrern, die erst in letzter Minute erfahren, dass kein Platz mehr für sie ist. Das ist amateurhaft und respektlos.“
Verträge, Sponsoren – und juristische Grauzonen
Ein zentraler Streitpunkt betrifft
Biniam Girmay, den Superstar des eritreischen Radsports und Aushängeschild von Intermarché. Er soll sich bereits mit Israel–Premier Tech über einen Wechsel einig sein, doch die rechtliche Situation ist undurchsichtig.
Da Intermarché seine WorldTour-Lizenz nicht verlängert und Lotto künftig als alleinige Zahlstelle agiert, argumentieren Experten, dass Girmay frei sein müsste, um zu wechseln. „Wenn er einen Anwalt einschaltet, ist das eine Fünf-Minuten-Angelegenheit vor dem Arbeitsgericht“, sagte Bruyneel.
Berichten zufolge soll jedoch die UCI den Wechsel aktuell blockieren, solange die Fusion formell nicht abgeschlossen ist. Ein Schritt, den viele als übergriffig empfinden. „Die UCI glaubt oft, ihre sportrechtlichen Regeln stünden über dem Arbeitsrecht“, kritisiert Bruyneel.
Girmay als Schlüsselfigur – oder Bauernopfer?
Für Spencer Martin ist klar: Girmay habe die drohende Instabilität früh erkannt. „Alle hielten ihn im Sommer für verrückt, weil er nach Israel–Premier Tech wollte. Jetzt zeigt sich, dass er der klügste Mann im Raum war“, sagte er. „Lotto–Intermarché weiß selbst nicht, ob es das Budget hat, um die Saison 2026 ordentlich zu bestreiten.“
Intermarché soll zudem angedeutet haben, den Sponsoringvertrag zu beenden, sollte Girmay das Team verlassen – ein Zeichen dafür, wie zentral der Eritreer für das Projekt ist.
Verlorene Fahrer und gebrochene Strukturen
Neben Girmay betrifft das Chaos auch andere Profis. Gerben Thijssen, Sprinter und Etappensieger bei der Vuelta, soll zu Alpecin–Deceuninck wechseln. Medienberichten zufolge übernehmen Intermarché und Alpecin die Kosten seines Vertrags gemeinsam, um ihn freizubekommen – ein ungewöhnlicher Deal, der die Notlage des fusionierenden Teams offenbart.
Bruyneel bringt es auf den Punkt: „Es gibt zu viele offene Fragen – wer bezahlt wen, welche Lizenzen gelten, und was passiert mit den Fahrern, die sich auf einen Vertrag verlassen haben? Wenn du solche Dinge im Oktober noch nicht weißt, hast du ein Problem.“
Ein riskanter Neuanfang
Die Fusion zwischen Lotto und Intermarché sollte eigentlich Synergien schaffen – ein starkes belgisches Team, das in der WorldTour konkurrenzfähig bleibt. Stattdessen droht sie, zwei funktionierende Strukturen zu destabilisieren.
Bis die UCI eine Entscheidung trifft, bleibt unklar, ob das „neue“ Lotto–Intermarché tatsächlich 2026 an den Start gehen kann – oder ob das Projekt zum jüngsten Beispiel für gut gemeinte, aber schlecht umgesetzte Fusionen im Radsport wird.
Eines steht jedoch fest: Wenn selbst erfahrene Beobachter wie Bruyneel von einem „Desaster mit Ansage“ sprechen, dann brennt es hinter den Kulissen lichterloh.