Zwölf Stunden nach seinem glanzvollen Triumph am Koppenberg – einer der bislang imposantesten Leistungen dieser Cyclocross-Saison – erlebte
Thibau Nys beim Rapencross in Lokeren das genaue Gegenteil: reines Chaos.
Ein defekter Schalthebel, ständige Radwechsel, ein verschobenes Cockpit und schließlich ein Sturz in der Sandpassage verwandelten den Sonntag des Europameisters in eine bittere Niederlage. Mit mehr als drei Minuten Rückstand und sichtlich frustriert verließ der 22-Jährige die Strecke – sehr zum Missfallen mancher Beobachter, die sein Verhalten kritisierten.
Für
Bart Wellens ist die Sache jedoch eindeutig.
In seiner Kolumne für Het Nieuwsblad stellt sich der Assistenztrainer entschieden vor seinen Fahrer – und erinnert daran, wie dünn die Linie zwischen brillanter Leistung und emotionaler Explosion bei Topathleten sein kann.
„Schauen Sie sich
Remco Evenepoel bei der Weltmeisterschaft an – bei Thibau in Lokeren war es nicht anders“, so Wellens. „Die Spitzenleute akzeptieren nur die Allerbesten.“
Wellens betont, dass Nys’ Reaktion kein Ausdruck von Eitelkeit sei, sondern der konsequente Anspruch eines außergewöhnlich ehrgeizigen Profis, der nach einer nahezu idealen Vorbereitung plötzlich von Materialproblemen ausgebremst wurde. Eine Woche, die mit einem Höhepunkt begann, endete im Frust – und zeigte einmal mehr, dass die ganz Großen ebenso hart mit sich selbst umgehen wie mit ihren Gegnern.
"Mein Rat an Sven: Lass die Finger von dem Motorrad - du bist kein Mechaniker.
Im Zentrum des Dramas stand ein überraschender Schuldiger: Vater und Teamchef Sven Nys, der offen die Verantwortung für den veränderten Schalthebel übernahm – das Detail, das die Pannenserie überhaupt erst auslöste.
Bart Wellens fand dafür deutliche Worte:
„Sven hat die Schuld auf sich genommen, aber mein Rat an ihn wäre: Bleib bei deinem Job. Halte dich von den Motorrädern fern – du bist kein Mechaniker.“
Der ehemalige Weltmeister unterstrich, wie empfindlich technisch versierte Fahrer auf minimale Veränderungen reagieren:
„Schon ein paar Millimeter an den Schalthebeln – und ein Cyclocross-Profi spürt das sofort. Das ist vor allem eine Kopfsache. Gib einem Fahrer ein Rad, das sich auch nur geringfügig anders anfühlt, und er merkt es direkt.“
Sven Nys hatte eingeräumt, an den Schalthebeln gefeilt zu haben, um mehr Grip zu erzeugen – eine Modifikation, die unter Rennbelastung nicht standhielt. Die Folge: ein ständiges Wechseln des Rads und ein Sturz in der Sandpassage. Thibau selbst sprach von „einer Verkettung von Umständen“, die seinen Wettkampf innerhalb weniger Minuten zerbrechen ließ.
Thibau Nys wird am kommenden Wochenende versuchen, seinen europäischen CX-Titel zu verteidigen
Weitsicht statt Panik - Koppenberg-Form bleibt das Maß der Dinge
Für Wellens steht fest: Aus einem Ausrutscher darf man keine falschen Schlüsse ziehen.
„Das ändert nichts daran, dass Thibau am Koppenberg einen enormen Eindruck hinterlassen hat – für mich war das keine Überraschung.“
Eine Beobachtung sorgte jedoch für Stirnrunzeln: wie hartnäckig Cameron Mason am Samstag an Nys’ Hinterrad blieb.
„Was mich wirklich erstaunt hat, war, wie lange Mason mithalten konnte. Thibau hat sich darüber sichtlich geärgert und immer wieder nach hinten geschaut. Das ist etwas, das Sven ihm offensichtlich noch nicht abgewöhnen konnte.“
Am Sonntag in Lokeren wurde Nys schließlich nur 15. – doch niemand, der genauer hinsah, deutete das Ergebnis als Formschwäche, sondern schlicht als das Resultat eines technischen Desasters. Vielmehr zeigte sich: Die Messlatte, die er selbst gelegt hat, liegt inzwischen extrem hoch. Und wie Wellens betont: Enttäuschung ist hier kein Zeichen von Schwäche, sondern von Anspruch. Die beiden Renntage demonstrierten die volle Bandbreite eines Champions im Werden: von überragender Kontrolle bis zur schmerzhaften Hilflosigkeit.
Nun, wenige Tage vor der Europameisterschaft, steht für Nys weniger ein Neustart als eine Fokussierung an. Seine Form ist unbestritten – es geht darum, das Feuer zur richtigen Zeit erneut zu entzünden. Wenn der Nys vom Koppenberg wieder erscheint, wird Lokeren nicht mehr sein Sturz, sondern seine Lernerfahrung sein – eine Fußnote auf einem Weg, der weit nach oben führt.