An diesem Wochenende macht der Cyclocross-Weltcup zum zweiten Mal in diesem Winter Station in Frankreich, diesmal in Flamanville. In den U23-Kategorien verfügt Frankreich mit Aubin Sparfel und Célia Gery zwar über ernsthafte Siegkandidaten, doch in den Elite-Rennen sind die Erwartungen deutlich gedämpft. Als Erfolg gilt dort bereits ein Top-10-Ergebnis bei den Männern beziehungsweise ein Top-5-Platz bei den Frauen. Und der Blick in die Zukunft wirkt noch düsterer: Beide amtierenden französischen Meister stehen nach der Auflösung von Arkéa–B&B Hotels für 2026 ohne Vertrag da.
Steve Chainel kennt diese Problematik aus eigener Erfahrung. In seiner Karriere kämpfte der frühere Profi mit ähnlichen Widerständen wie heute der aktuelle französische Meister Clément Venturini. Nach Ansicht des 42-Jährigen wollen französische Teams grundsätzlich nichts von der Kombination aus Cyclocross und Straße wissen. Auch die Pläne der UCI, Punkte aus Offroad-Disziplinen künftig stärker fürs UCI-Ranking anzurechnen, ändern seiner Meinung nach wenig an diesem festgefahrenen Denken.
„Ich bin für fast jedes französische Team gefahren und kann sagen, dass überall dasselbe Motto gilt: Cyclocross ist rein und einfach Vorbereitung für die Straße“,
sagte der frühere französische Crossmeister im ausführlichen Gespräch mit WielerFlits.„Egal, wie talentiert du als Junior im Cyclocross bist – die großen Teams betrachten das nicht als Spezialisierung. Deshalb hatten Arnaud Jouffroy, Julian Alaphilippe oder Pauline Ferrand-Prévot nie eine echte Cyclocross-Karriere. Sobald du Profi wirst, heißt es im Team: Schluss“, erklärt Chainel. „Dasselbe ist kürzlich bei Quentin Jauregui passiert: Er war Dritter im U23-Weltcup, durfte als Profi aber nicht mehr voll Cross fahren. Joshua Dubau ist sogar ganz zum Mountainbike zurückgekehrt.“
Leidenschaft und Talent sind vorhanden
Nach Chainels Ansicht ist es bedauerlich, dass Cyclocross von den führenden französischen Straßenstrukturen weder ausreichend unterstützt noch als eigenständige und sinnvolle Disziplin anerkannt wird. Mit seinem 17-jährigen Sohn Caliste erlebt er aus nächster Nähe, dass die besten französischen Nachwuchs-Crosser dem Talent aus Belgien und den Niederlanden in nichts nachstehen. Doch sobald sie dem Juniorenalter entwachsen, wechseln viele auf die Straße – weil eine Karriere im Cyclocross in Frankreich kaum tragfähig ist.
„Ich bin regelmäßig bei Juniorenrennen, dort stehen mehr als 200 Fahrer am Start. Sie alle lieben Cyclocross, genauso wie ihre Eltern“, erzählt Chainel. „Mein Sohn ist 17 und verrückt nach Wout van Aert, aber auch Mathieu van der Poel ist eine riesige Inspiration. Nach den Nachwuchsjahren musst du jedoch eine Entscheidung treffen: Entweder du gehst zur Straße, verdienst bei einem großen Team Geld und fährst kaum noch Cross – oder du bleibst im Cyclocross und landest in einem kleinen Vereinsteam mit begrenztem Budget.“
Eine leichte Trendwende ist zuletzt bei Decathlon zu erkennen. Dort darf Aubin Sparfel aus dem Development-Team einen kompletten Cross-Winter fahren – ein Vertrauen, das er mit Silber bei den U23-Europameisterschaften bereits zurückgezahlt hat. Für 2027 ist sein Profiaufstieg beim französischen Rennstall geplant. Ob er auch dann weiterhin Cyclocross bestreiten darf, bleibt allerdings offen.
„Bei Decathlon CMA CGM beginnt sich die Haltung langsam zu verändern, aber auch dort geht die Initiative von den Fahrern aus“, erklärt Chainel. „Aubin Sparfel ist aktuell das größte Cross-Talent Frankreichs und sehr clever vorgegangen. Er hat einen substanziellen Vertrag unterschrieben, in dem festgeschrieben ist, dass er jeden Winter Cross fahren will. Er ist ein echter Enthusiast – und denkt bereits an die Olympischen Spiele.“
Léo Bisiaux (20) ist eines der aufstrebenden Talente des französischen Radsports
Denn selbst Junioren-Weltmeister Léo Bisiaux darf im Winter kein Cyclocross mehr bestreiten. Das französische Team setzt stattdessen darauf, dass er gemeinsam mit einem weiteren ehemaligen Junioren-Cross-Star, Paul Seixas, auf der Straße zu einer neuen französischen Rundfahrt-Hoffnung heranwächst.
„Ich war diese Woche zufällig in einem Podcast mit Léo“, berichtete Chainel. „Man sollte meinen, dass er als ehemaliger Weltmeister auch im Cyclocross Möglichkeiten bekommt. Doch als ich ihn darauf ansprach, sagte er sofort: Bei Decathlon zählt einzig, dass er sich zu einem Top-Kletterer für das Gesamtklassement entwickelt. Offenbar ist man überzeugt, dass ihm das am besten liegt.“