Mit 38 Jahren erlebt
Damiano Caruso eine Phase seiner Karriere, die er selbst als überraschend beschreibt. Eine Saison, die mit ernsthaften Rücktrittsgedanken begann, entwickelte sich zu einer Reise der Wiederentdeckung. Die zurückgewonnene Form, die erneute Bereitschaft zu großen Opfern und schließlich der unerwartete Sieg in Burgos zum Saisonende machten deutlich, dass er dem Radsport noch immer viel geben kann.
Der Italiener bereitet sich nun darauf vor, 2026 seine letzte Profisaison in den Farben von Bahrain Victorious zu bestreiten – mit dem klaren Ziel, noch einmal alles zu investieren und seine erfolgreiche Laufbahn mit maximalem Einsatz auf der Straße würdig abzuschließen.
Auf die Saison 2025 blickt Caruso mit großem inneren Frieden zurück. „Ich habe mich selbst überrascht“,
sagt er im Interview mit OA Sport. „Zu Beginn des Jahres war ich fast entschlossen aufzuhören, doch am Ende wurde es eine mehr als ordentliche Saison. Deshalb kann ich sagen: Ich bin vollauf zufrieden.“
Der Schlüsselmoment, der seine Rücktrittspläne endgültig kippen ließ, kam beim Giro d’Italia 2025. Dort fuhr der erfahrene Italiener erneut in die Top fünf der Gesamtwertung, während jüngere Teamkollegen schwächelten. „2024 habe ich meine Form nie wirklich gefunden“, erklärt Caruso. „Doch 2025, etwa im April, fühlte ich mich wieder gut. Das habe ich bei der Tour of the Alps bestätigt – und beim Giro war dann alles da. Da habe ich gemerkt, dass ich dem Sport noch etwas geben kann.“
Sieg in Burgos: eine unerwartete Prämie
Mit 38 Jahren in Burgos aus einer Fluchtgruppe heraus zu gewinnen, war für Caruso „das i-Tüpfelchen“. „Ich habe weniger an den Sieg gedacht als daran, eine starke Leistung zu zeigen“, erklärt er. „Der Erfolg kam völlig unerwartet und war eine große Freude – auch, weil es kein geschenkter Sieg war. Das Feld war groß, ich musste mir die Gruppe erarbeiten und habe das Rennen bestmöglich gelesen.“
Caruso bestätigt zugleich, dass 2026 seine letzte Profisaison sein wird. Der Abschied vom aktiven Radsport bedeutet für ihn jedoch keinen endgültigen Bruch: „Ich möchte dem Sport verbunden bleiben und die Erfahrung nutzen, die ich über die Jahre gesammelt habe. Wie genau das aussieht, wird sich zeigen, aber das ist derzeit meine Vorstellung.“
Für seine Abschiedssaison im Peloton formuliert er klare, aber realistische Ziele: „Ich hoffe, ein gutes Niveau zu erreichen und in den Rennen konkurrenzfähig zu sein. Wenn mir das gelingt, möchte ich die Saison mit der Gewissheit beenden, alles gegeben und sowohl für mich selbst als auch für das Team einen echten Mehrwert geliefert zu haben.“
Damiano Caruso, einer der besten italienischen Radprofis seiner Generation
Reife als Schlüssel seiner Karriere
Caruso räumt ein, dass seine Karriere nach dem 30. Geburtstag einen entscheidenden Wendepunkt nahm: „Ich beschloss, die Komfortzone zu verlassen. Vielleicht war ich in den ersten Jahren etwas bequem. Mit der Reife verstand ich, dass ich mehr von mir verlangen muss – und dann kamen auch die Resultate. Rückblickend denke ich, ich hätte früher mehr erreichen können, aber der Radsport war damals anders, und junge Fahrer bekamen mehr Zeit zur Entwicklung. Trotzdem bin ich zufrieden und bereue nichts.“
2021 setzte Caruso beim Giro d’Italia mit Rang zwei hinter Egan Bernal ein markantes Ausrufezeichen. Auf der Schlussbergetappe attackierte er sogar für den Gesamtsieg. Auch wenn es „nur“ zu einem Etappenerfolg reichte, hinterließ Caruso einen bleibenden Eindruck in der Geschichte des Rennens.
Sein größter Rückschlag ist ebenfalls eng mit der Corsa Rosa verbunden – jedoch nicht mit der Niederlage 2021, sondern mit der Tour de France 2022. Damals schickte sein Team den wiedererstarkten Caruso für die Gesamtwertung zur Frankreich-Rundfahrt. Der Plan ging nicht auf, und Caruso musste das Rennen letztlich aufgeben.
„Wahrscheinlich hätte ich damals lieber den Giro gefahren, denn meine Form war hervorragend“, erklärt er. Platz sechs bei der Romandie und Rang vier beim Dauphiné, die beiden Rennen, die den Giro zeitlich einrahmen, belegen dies. „Aber man muss die Entscheidungen des Teams respektieren. Bei der Tour hatte ich ebenfalls die Ambition, es in der Gesamtwertung zu versuchen oder eine Etappe zu gewinnen, um das Maximum herauszuholen.“