Zwischen Bundesliga und WorldTour – Wie schwer ist der Weg in die Radsport-Weltspitze?

Radsport
durch Nic Gayer
Mittwoch, 30 April 2025 um 20:30
florianlipowitz
Von außen betrachtet ist der Weg vom Nachwuchsfahrer zum Radprofi heute klarer denn je: Mit einem strukturierten Training, einigen Erfolgen in der U19- und U23-Kategorie und einem Platz in einem Development-Team scheint der Sprung in die WorldTour greifbar. Doch insbesondere im deutschen Radsport gestaltet sich dieser Weg oft steiniger, als es auf den ersten Blick scheint. Zwischen engagierten Amateurteams, stagnierender Rennlandschaft und wenigen echten Leuchtturmprojekten kämpfen viele Talente um Anerkennung und Entwicklungsmöglichkeiten. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Situation im deutschen Straßenradsport – mit Fokus auf Strukturen, Teams, Nachwuchsarbeit und die Herausforderungen junger Fahrer.

Die Ausgangslage: Nachwuchsarbeit in Deutschland – solide, aber unsichtbar?

Der deutsche Straßenradsport hat nach dem Boom der Jan-Ullrich-Ära einen tiefen Fall erlebt. Zwar hat sich das öffentliche Image nach den Dopingskandalen der 2000er Jahre langsam wieder erholt, doch auf struktureller Ebene fehlt es bis heute an einer breiten, nachhaltigen Basisförderung.
German Cycling (Bund Deutscher Radfahrer) bietet über die Landesverbände eine solide Grundstruktur an. Doch die Förderung ist stark vom ehrenamtlichen Engagement vor Ort abhängig – vor allem in den Bundesligen der Junioren und Amateure. Der Übergang in den Leistungssport, insbesondere im Straßenbereich, ist für viele Talente dennoch schwierig.
Ein weiteres Problem: Es fehlt an systematischer, kontinuierlicher Talentsichtung. Während Länder wie Dänemark oder die Niederlande gezielt junge Talente aufbauen und sie frühzeitig in internationale Wettkämpfe integrieren, ist der Weg für deutsche Talente häufig dem Zufall überlassen – oder auf das Engagement einzelner Vereine und Trainer angewiesen.

UCI Continental Teams: Talentschmieden mit limitierten Möglichkeiten

Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum Profi ist die UCI-Continental-Ebene. In Deutschland sind dies vor allem Teams wie:
·        REMBE | rad-net 
·         Team Lotto Kern-Haus PSD Bank
·         Benotti Berthold
·        BIKE AID
Diese Teams fahren hauptsächlich nationale und kontinentale Rennen. Sie bieten jungen Fahrern eine Plattform für Entwicklung, aber der Sprung in die ProSeries oder gar WorldTour gelingt nur wenigen.
Ein großer Vorteil dieser Teams ist ihre Nähe zur Basis: Viele Fahrer kommen direkt aus der deutschen Bundesliga, oft in Kombination mit einer Ausbildung oder einem Studium. Die Kehrseite: Häufig fehlt die volle Konzentration auf den Sport – oder das Budget für ein professionelleres Umfeld.
Zudem bleibt das internationale Renngeschehen für viele dieser Teams unzugänglich. Einladungen zu großen U23-Rennen oder gar Startplätze bei ProSeries-Events sind rar. Das liegt auch an der oft mangelnden Vernetzung deutscher Teams mit ausländischen Organisatoren – ein Nachteil im Vergleich zu italienischen oder französischen Continental-Teams, die fest im europäischen Rennkalender eingebunden sind.

Das neue Development-Team von BORA – ein Hoffnungsschimmer?

Ein Hoffnungsschimmer im deutschen Radsport ist das Red Bull - BORA - hansgrohe Development Team, das seit 2024 besteht. Hier sollen vielversprechende Talente gezielt aufgebaut und auf die WorldTour vorbereitet werden. Das Modell ähnelt dem erfolgreicher Entwicklungsteams wie DSM, Visma oder UAE.
Bereits vor dem offiziellen Start konnten sich Fahrer wie Luis-Joe Lührs oder Florian Lipowitz empfehlen – beide stammen aus dem Umfeld des Teams Auto Eder bzw. der deutschen Nachwuchsstruktur. Lührs konnte 2023 u. a. bei der Tour de l’Avenir Akzente setzen.
Beeindruckte mit einem 2. Platz bei Paris-Nizza 2025: Florian Lipowitz
Beeindruckte mit einem 2. Platz bei Paris-Nizza 2025: Florian Lipowitz
Der Fokus liegt auf langfristiger Entwicklung – mit sportwissenschaftlicher Begleitung, internationalen Renneinsätzen und strukturierter Trainingsplanung.
Das Team setzt auf moderne Trainingsmethoden, engmaschiges Leistungsmonitoring und ein durchdachtes Saisonprogramm. Auch die Begleitung durch erfahrene Mentoren – etwa ehemalige Profis – soll dazu beitragen, jungen Fahrern realistische, aber ambitionierte Ziele zu ermöglichen.
Die Hoffnung: Dass sich BORA als Zentrum einer neuen Nachwuchsstruktur im deutschen Radsport etabliert – und Vorbild für weitere WorldTour-Teams wird.

Zwischen Hochschule und Hochleistung: Der Spagat deutscher Nachwuchsfahrer

Ein weiteres Thema ist die Vereinbarkeit von Sport und Ausbildung. Anders als in vielen Nachbarländern ist der Weg über spezialisierte Sportschulen in Deutschland selten. Viele Fahrer entscheiden sich bewusst für ein Studium neben dem Radsport. Das ist klug – aber es verzögert häufig auch den Einstieg ins Vollzeit-Profi-Dasein.
Auch das Thema finanzielle Absicherung spielt eine Rolle. Viele Nachwuchsfahrer müssen sich über Nebenjobs oder elterliche Unterstützung finanzieren. Eine professionelle Förderung mit Stipendien, strukturierten Ausbildungsprogrammen oder sozialer Absicherung, wie sie in anderen Sportarten existiert, gibt es im Radsport kaum.

Rennen, Medien, Öffentlichkeit: Wo ist die Bühne für die Talente?

Ein zentraler Punkt ist die Sichtbarkeit: Wo können sich deutsche Nachwuchsfahrer präsentieren? Die Zahl der hochkarätigen Rennen in Deutschland ist begrenzt. Die Rad-Bundesliga ist zwar etabliert, aber weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit. Große U23-Rundfahrten oder Klassiker mit internationalem Teilnehmerfeld gibt es nur wenige.
Events wie der Große Preis der Sparkasse Neuss, das Internationale U19-Rennen in Frankfurt/Oder oder der Harzrundfahrt bieten zwar wichtige Wettkampfpraxis – aber kaum mediale Reichweite. Gleichzeitig ist die Deutschland Tour zwar ein wichtiges Signal, bietet aber kaum Plattform für Nachwuchsfahrer. Zuschauerzahlen und Medienresonanz bleiben in der Regel verhalten.
Hinzu kommt, dass deutsche Medien den Radsport oft nur punktuell und auf Spitzenergebnisse bezogen behandeln. Die Geschichten hinter den Talenten – ihr Weg, ihre Herausforderungen – finden kaum Gehör. Dabei könnten gerade diese Geschichten helfen, eine neue Generation von Fans und Unterstützern zu gewinnen.

Was müsste sich ändern?

Viele Experten fordern eine stärkere Vernetzung der nationalen Rennszene mit internationalen Formaten. Denkbar wären:
·         Mehr Einladung deutscher Teams zu ProSeries-Rennen
·         Förderung deutschsprachiger U23-Rundfahrten
·         Mediale Begleitung und Präsenz für die Bundesliga
·         Aufbau von Talentsichtungscamps mit WorldTour-Teams
·         Nationale Leistungszentren mit Infrastruktur für Training, Ernährung und Mentoring
Auch der BDR ist gefragt: Fördergelder, moderne Kommunikation und langfristige Talententwicklung müssten stärker im Fokus stehen. Eine engere Kooperation mit Schulen, Universitäten und Sportverbänden könnte helfen, den Spagat zwischen Ausbildung und Spitzensport besser zu gestalten.
Ein Hoffnungsträger ist zudem die neue UCI-Initiative zur Förderung von Continental-Teams als "Development Academies" – hier könnte Deutschland eine aktive Rolle einnehmen und eigene Ausbildungsstandards definieren.

Fazit: Talent ist vorhanden – doch der Weg ist zu oft ein Labyrinth

Der deutsche Radsport hat Talent. Das zeigen nicht nur Beispiele wie Georg Zimmermann, Felix Engelhardt oder Emil Herzog. Doch zwischen Bundesligabühne und WorldTour liegt ein weiter Weg – und der ist in Deutschland noch immer voller Lücken.
Solange keine strukturierte, international eingebundene Nachwuchsförderung entsteht, bleiben viele Karrieren dem Zufall überlassen. Es braucht Sichtbarkeit, Planung, Geduld – und mehr Vertrauen in junge Fahrer. Dann kann aus der deutschen Szene wieder eine echte Talentschmiede werden – nicht nur für Einzelfälle, sondern als System.
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die aktuelle Generation – mit all ihren Ambitionen, ihrem Durchhaltevermögen und ihrer Leidenschaft – den deutschen Straßenradsport langfristig wieder auf eine breitere, professionellere Basis stellt.
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