„Sie wollen beide führen“ – Vincenzo Nibali warnt UAE vor Führungsdilemma bei der Vuelta

Radsport
Donnerstag, 21 August 2025 um 16:00
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Während sich die 80. Ausgabe der Vuelta a España auf ihren Start in Turin am kommenden Samstag vorbereitet, meldet sich Vincenzo Nibali zu Wort. Der „Hai von Messina“, Vuelta-Sieger 2010 und einer von nur sieben Fahrern, die alle drei Grand Tours gewonnen haben, kennt die Eigenheiten des Rennens wie kaum ein anderer. Für ihn ist die Spanien-Rundfahrt stets ein mentaler genauso wie ein physischer Kraftakt.
Besonders beim UAE Team Emirates sieht er eine potenzielle Stolperfalle. „Sie wollen beide führen. Keiner von ihnen wird die zweite Geige spielen wollen“, sagt Nibali gegenüber Bici.Pro über die Entscheidung, Juan Ayuso und João Almeida als Doppelspitze einzusetzen. Zwar werde dies letztlich auf der Straße entschieden, doch müsse der schwächere der beiden bereit sein, seine Ambitionen zugunsten des Teamkollegen zurückzustellen. „Das ist nicht immer einfach, wie wir dieses Jahr beim Giro gesehen haben“, erinnert der Italiener.

Doppelspitze: Theorie und Realität

Das Spiel mit zwei Anführern wirkt auf dem Papier vielversprechend: Flexibilität, taktische Vielfalt, mehr Optionen. In der Praxis jedoch entstehen häufig Loyalitätsprobleme, taktisches Zögern und verpasste Chancen. Nibali betont, dass gerade die Vuelta mit ihrem nervösen Renncharakter und den unberechenbaren Etappen diese Konflikte verschärfen kann.
„Was wir auf der Strade-Bianche-Etappe zwischen Del Toro und Ayuso beim Giro gesehen haben, war grenzwertig“, so Nibali. Dennoch mahnt er zur Vorsicht: Außenstehende könnten nie wissen, ob es sich um echte Konflikte oder nur um natürlichen Wettbewerb handele.

Ayuso und Almeida – zwei Charaktere, ein Ziel

Ayuso gilt mit 22 Jahren als Spaniens große Rundfahrt-Hoffnung. Sein dritter Platz bei der Vuelta 2022 machte ihn bereits im Teenageralter zu einem Star. Almeida hingegen ist der kühle Rechner, der ruhige Diesel mit konstant starken Resultaten und einem Podium beim Giro. „Beide sind stark, daran gibt es keinen Zweifel“, sagt Nibali. Doch eine Grand Tour sei vor allem ein Geduldsspiel. „Ayuso ist noch jung. Er muss ruhig bleiben. Man gewinnt keine dreiwöchige Rundfahrt an einem Tag.“
Mit Jonas Vingegaard, der nach einer dominanten Tour de France antritt, und dem bestens organisierten Team Visma | Lease a Bike im Kampf um die historische Triple-Krone hat UAE kaum Spielraum für interne Reibereien. „Wie sie das Gleichgewicht im Team handhaben, könnte entscheidend sein“, so Nibali.

Vuelta – Bühne des Chaos

Für Nibali bleibt die Vuelta die unberechenbarste der drei großen Rundfahrten. „Sie ist viel schwieriger zu interpretieren als Giro oder Tour. Es gibt weniger Kontrolle, das Rennen ist nervös. Ausreißer und Überraschungen sind an der Tagesordnung“, erklärt er. Dazu komme die späte Saisonphase: Manche Fahrer starten topfit, andere ausgelaugt oder auf Jobsuche. „Die Müdigkeit der Saison lastet auf allen – und das zeigt sich.“

Terrain der Extreme

Ein weiterer Faktor ist das Terrain. Spanische Anstiege sind oft kürzer als in den Alpen, dafür aber steiler und explosiver. Paradebeispiel: die Bola del Mundo, Ziel der 20. Etappe. „Die letzten Kilometer sind Betonrampen mit 20 Prozent Steigung. Nicht ganz so brutal wie der Angliru – aber nah dran“, erinnert sich Nibali an seinen eigenen Vuelta-Sieg 2010.
Auch die vielen kurzen, steilen Rampen prägten das Rennen. „Das ist ein Terrain für Fahrer wie Ciccone“, so Nibali. Der Italiener zeigte mit seinem Sieg in San Sebastián, dass er in Topform ist.

Italienische Karten: Ciccone, Caruso, Ganna

Die italienischen Hoffnungen ruhen vor allem auf Giulio Ciccone, Damiano Caruso und Filippo Ganna. Caruso habe im Hochgebirge hart gearbeitet und könne sowohl auf Etappen als auch im Gesamtklassement eine Rolle spielen. Ganna kehrt nach seinem bitteren Tour-Aus zurück und wird besonders motiviert sein. Und dann ist da noch Antonio Tiberi. „Ich hoffe, er hat sich nicht in eine Negativspirale manövriert“, sagt Nibali. „Er hat Charakter, aber er muss noch Schritte machen, um wirklich reif zu sein.“

Vingegaard im Fokus

Am Ende jedoch läuft alles auf Jonas Vingegaard hinaus. Der Däne, frisch von einer weiteren starken, wenn auch erfolglosen Tour, gilt als klarer Favorit. „Das Team ist um ihn gebaut. Sie haben die Stärke, das Rennen zu kontrollieren – aber es ist die Vuelta. Alles kann passieren“, warnt Nibali.
Genau darin liegt der Zauber dieser Rundfahrt. Während die Tour oft streng nach Skript verläuft und der Giro mit Emotionen aufgeladen ist, bleibt die Vuelta unberechenbar. Sie ist die Bühne, auf der alte Champions glänzen und neue Sterne geboren werden. „Schaut euch Pogacar an“, erinnert Nibali. „Er zeigte sich der Welt erstmals bei der Vuelta.“
Ob 2025 das Jahr von Vingegaards Krönung, eines UAE-Debakels oder eines neuen Helden wird – entschieden wird es, wie immer, auf dem Weg nach Madrid.
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