Es ist eine dieser Entscheidungen, die nicht nur sportlich, sondern auch mental von enormer Tragweite sind.
Lotte Kopecky, die zweimalige Titelträgerin und eine der dominierenden Figuren des Frauenradsports in den letzten Jahren, lässt offen, ob sie im September bei den UCI-Straßen-Weltmeisterschaften 2025 in Ruanda an den Start gehen wird.
Die Strecke ist kein Spaziergang: 164 Kilometer, dazu 3.350 Höhenmeter – kein selektiver Hochgebirgskurs, aber eine Prüfung, die den klassischen Allrounderinnen und bergfesten Fahrerinnen liegen dürfte. Während Topstars wie
Wout van Aert und Pauline Ferrand-Prévot bereits abgesagt haben, bleibt Kopeckys Antwort aus – und das ganz bewusst.
Ein Trainer, der den Druck herausnimmt
Ihr Nationaltrainer Ludwig Willems wählt einen behutsamen Ansatz.
„Ich habe sie nach der Tour absichtlich nicht kontaktiert. Sie hat in den letzten Wochen genug Interviews gegeben und musste sich permanent erklären. Manchmal ist es wichtig, sich eine Auszeit zu nehmen und sich nicht in Entscheidungen drängen zu lassen.“
Der Belgier weiß, dass Kopecky seit Jahren im Fokus steht – bei der Tour de France Femmes ist sie eine der meistbeobachteten Fahrerinnen, im Frühjahr eine der Gejagten bei den Klassikern. Jede Attacke, jede Taktikänderung wird seziert. „Wenn sie wollte, könnte sie jeden Tag irgendwo auftreten – aber das kann auf Dauer niemand leisten.“
Ein Winter zum Vergessen – und ein Tour-Auftritt ohne Glanz
Dass die Saison nicht ideal verlaufen ist, hat mehrere Gründe. Kopecky musste den Winter über eine Knieverletzung auskurieren, was ihr gewohnt strukturiertes Aufbautraining durcheinanderbrachte. Der gesamte Plan für die Saison 2025 wurde neu aufgestellt – mit der Tour als zentralem Höhepunkt.
Doch in Frankreich lief es nicht wie erhofft. Weder um Etappensiege noch um die Gesamtwertung konnte Kopecky mitfahren. Der Druck, verbunden mit den körperlichen Rückständen, hinterließ Spuren. Willems:
„Es ist durchaus möglich, dass die Summe dieser Faktoren zu einem Einbruch geführt hat. Aber im Sport ist der genaue Grund oft nicht eindeutig zu benennen.“
Die Stärke einer Championess – und der mentale Schalter
Trotz aller Enttäuschungen sieht ihr Trainer keinen Anlass, Kopecky abzuschreiben.
„Lotte ist die perfekte Person, um aus Fehlern zu lernen. Ich erinnere mich an ihre erste Tour, bei der sie unbedingt eine Etappe gewinnen wollte und am Ende enttäuscht war. Doch schon kurz danach kam sie stärker zurück. Sie ist unglaublich widerstandsfähig.“
Das große Fragezeichen liegt im mentalen Bereich: Ob Kopecky in der Lage ist, nach einer langen, fordernden Saison noch einmal den „Schalter umzulegen“, wie Willems es nennt. Als introvertierte Persönlichkeit verarbeitet sie Rückschläge lieber selbst, ohne ständige Einmischung.
Ein Kurs, der Chancen bietet
Sollte sie sich für die WM in Ruanda entscheiden, könnte der Kurs durchaus zu ihr passen.
„Es ist keine reine Kletterstrecke, sondern eher ein wiederholtes Auf und Ab – ähnlich wie bei den Flandern-Klassikern oder dem Amstel Gold Race“, analysiert Willems. „Fahrerinnen, die dort stark sind, können auch in Ruanda um den Titel kämpfen – und dazu gehört Lotte ganz klar.“
Die wiederholten Anstiege könnten Kopecky entgegenkommen, zumal sie in explosiven Antritten und taktisch geprägten Finals zu den besten der Welt zählt. Die Höhenmeter könnten allerdings für Fahrerinnen wie Katarzyna Niewiadoma oder Elisa Longo Borghini ebenfalls ein Vorteil sein – eine zusätzliche sportliche Herausforderung.
Alles hängt von einer Entscheidung ab
Ob die Belgierin ihren WM-Hattrick anstrebt oder nicht, liegt allein in ihrer Hand.
„Das Einzige, was wir besprochen haben, ist, dass sie so viel Zeit hat, wie sie braucht. Ich werde ihr sicher nicht vorschreiben, was sie zu tun hat“, sagt Willems.
Bislang gibt es keine Bestätigung, und so bleibt die Radsportwelt in Spannung. Fest steht: Sollte Kopecky in Ruanda antreten, wird sie nicht nur um den dritten Titel kämpfen – sondern auch um den Beweis, dass selbst eine der härtesten Saisons ihre Siegermentalität nicht brechen kann.