Im heutigen Rückblick zur
Tour de France widmen wir uns der legendären Rivalität zwischen den slowenischen Stars
Tadej Pogacar und
Primoz Roglic – und ihrem packenden Duell bei der Tour de France 2020.
Pogacar gegen Roglic – das spektakuläre Tour-Duell von 2020
Diese Ausgabe der Tour schrieb Geschichte. Am vorletzten Tag schlug der junge Debütant Pogacar in einem spektakulären Zeitfahren zu und holte einen scheinbar sicheren Rückstand auf. Das dramatische Finale in La Planche des Belles Filles versetzte die Radsportwelt in Staunen und machte das Rennen zu einem der emotionalsten Momente des letzten Jahrzehnts.
Das Duell war mehr als ein sportlicher Zweikampf. Es war ein Aufeinandertreffen von Erfahrung und jugendlichem Wagemut, Strategie gegen Instinkt – und zeigte, wie unberechenbar und mitreißend die Tour sein kann. Kaum zu glauben, dass dieses Spektakel bereits fünf Jahre zurückliegt. Doch es lohnt sich, noch einmal in das wohl dramatischste Tour-Finale aller Zeiten einzutauchen.
Zwei Wege, ein Ziel – Die Ausgangslage von Roglic und Pogacar vor der Tour 2020
Vor der Tour de France 2020 galt Primoz Roglic als einer der besten Etappenrennfahrer der Welt. Der frühere Skispringer hatte erst 2013 den Wechsel zum Radsport vollzogen – sein Aufstieg war rasant.
2018 wurde er Vierter bei der Tour und gewann eine Pyrenäen-Etappe. 2019 stand er als Gesamtdritter beim Giro auf dem Podium und triumphierte später bei der Vuelta a España – seinem ersten Grand-Tour-Sieg. Anfang 2020 führte Roglic die Weltrangliste an und ging mit Jumbo-Visma als Topfavorit in die Tour. Er war 30 Jahre alt und trug das Selbstverständnis des ersten slowenischen Grand-Tour-Gewinners. Tadej Pogacar war da gerade einmal 21. Er stand vor seinem Tour-Debüt, galt aber bereits als Wunderkind. Bei der Vuelta 2019 hatte er mit drei Etappensiegen und einem dritten Gesamtrang für Furore gesorgt. Besonders eindrucksvoll: seine Soloattacke in der letzten Woche, die ihn überraschend aufs Podium katapultierte. Die Radsportwelt staunte – Pogacar gewann das Weiße Trikot und überholte dabei etablierte Namen. Gemeinsam mit Roglic stand er in Madrid auf dem Podium – ein erster Vorgeschmack auf das, was kommen sollte.
Zu Beginn der Tour 2020 war die Rollenverteilung klar: Roglic war der etablierte Leader mit einem starken Team im Rücken. Pogacar war der talentierte Debütant vom UAE Team Emirates – gefährlich, aber ohne echte Siegambitionen. Dass die beiden Slowenen das Rennen um das Gelbe Trikot unter sich ausmachen würden, ahnte damals kaum jemand.
Die Tour de France 2020 – ein episches slowenisches Duell
Das Duell zwischen Primoz Roglic und Tadej Pogacar spitzte sich im Verlauf der Tour 2020 immer weiter zu. Pogacar zeigte früh seine Klasse – aber auch seine Verletzlichkeit. Auf der 7. Etappe erwischten ihn die Seitenwinde auf dem falschen Fuß. Er verlor 1:21 Minuten auf seine Rivalen und fiel in der Gesamtwertung vom dritten auf den 16. Platz zurück. Ein schwerer Rückschlag.
Doch Pogacar schlug sofort zurück. Schon am nächsten Tag griff er am Col de Peyresourde mutig an, machte einen Großteil des Rückstands wett und kletterte in der Gesamtwertung sieben Plätze nach oben. Seine aggressive Fahrweise zeigte: Er war noch voll im Rennen.
Pogacars erster Etappensieg und Roglic im Gelb
Auf der 9. Etappe nach Laruns holte Pogacar seinen ersten Tour-Etappensieg. In einem packenden Sprint bezwang er Roglic und Marc Hirschi. Roglic übernahm das Gelbe Trikot – der erste Slowene, dem dies in der Tour-Geschichte gelang. Pogacar hingegen hatte sich wieder in die Top Ten gekämpft und war nun ganz klar der größte Rivale seines Landsmanns.
Die Spannung stieg weiter, besonders nach Pogacars zweitem Etappensieg auf dem Grand Colombier (Etappe 15). Dort setzte er sich knapp vor Roglic durch. Der Abstand in der Gesamtwertung schrumpfte auf nur noch 40 Sekunden. Die Tour war zu einem echten Zweikampf geworden. Titelverteidiger Egan Bernal war eingebrochen – niemand konnte mit den beiden Slowenen mithalten.
Roglics scheinbar entscheidender Schlag
Auf der 17. Etappe hinauf zum Col de la Loze erhöhte Roglic erneut den Druck. Miguel Ángel López gewann zwar die Etappe, doch Roglic konnte sich auf dem brutalen Schlussanstieg leicht von Pogacar lösen. Mit Platz 2 auf der Etappe baute er seinen Vorsprung auf 57 Sekunden aus. Nur noch wenige Etappen standen aus – inklusive eines Zeitfahrens, das Roglic als einer der besten Zeitfahrer der Welt in die Karten spielen sollte.
Alles deutete darauf hin, dass Roglic die Tour 2020 gewinnen würde. Seit fast zwei Wochen trug er Gelb, Jumbo-Visma kontrollierte das Rennen souverän, Pogacar schien mit dem zweiten Platz zufrieden zu sein. Übrig blieb die 20. Etappe – ein 36,2 km langes Einzelzeitfahren von Lure hinauf zur Planche des Belles-Filles.
Die Wendung, die niemand kommen sah
Roglic hatte fast eine Minute Vorsprung und galt als sicherer Sieger. Doch was am Samstag geschah, zählt zu den größten Überraschungen der Tour-Geschichte.
Pogacar fuhr ein übermenschliches Zeitfahren. Er übernahm früh die virtuelle Führung, baute sie stetig aus und pulverisierte Roglics Vorsprung am Schlussanstieg. Als er im Ziel war, führte er mit fast zwei Minuten – eine sportliche Sensation.
Roglic verlor das Gelbe Trikot und die Tour auf der letzten ernsthaften Etappe. Pogacar gewann nicht nur das Zeitfahren und die Gesamtwertung, sondern sicherte sich auch das Weiße und das Gepunktete Trikot. Ein historischer Dreifach-Triumph – im zarten Alter von 21 Jahren.
Die Tour de France 2020 wurde zur Bühne eines unfassbaren sportlichen Dramas. Ein junger Debütant demontierte am vorletzten Tag den dominanten Favoriten – und schrieb damit Geschichte.
Etappe 20 – Der Tag, an dem alles kippte
Das Zeitfahren der 20. Etappe am 19. September 2020 wurde zu einem der spektakulärsten Momente der Tour-Geschichte. Die Strecke: 30 flache Kilometer, gefolgt vom steilen Schlussanstieg über 5,9 Kilometer hinauf zur Planche des Belles Filles.
Tadej Pogacar startete als Vorletzter und legte vom ersten Meter an ein beängstigendes Tempo vor. Schon bei der ersten Zwischenzeit hatte er einen Großteil von Primoz Roglics Vorsprung pulverisiert. Je näher Pogacar dem Anstieg kam, desto klarer wurde: Hier passiert gerade etwas Außergewöhnliches. Split für Split machte er Boden gut, fuhr am Limit – und dennoch wie entfesselt.
Im Anstieg fand Pogacar seinen eigenen Rhythmus, preschte förmlich über die steilen Rampen und erreichte das Ziel nach 55:55 Minuten – eine Zeit, die alle anderen Fahrer wie Statisten aussehen ließ. Im Zielbereich herrschte unheimliche Stille. Selbst innerhalb des Jumbo-Visma-Teams spürte man: Etwas Unfassbares war im Gange.
Als Roglic das Ziel erreichte, war klar: Der Traum war geplatzt. Zwar fuhr er ein respektables Zeitfahren, wurde Fünfter – doch fast zwei Minuten langsamer als sein junger Landsmann. Pogacar hatte das Unmögliche geschafft. Aus 57 Sekunden Rückstand machte er 59 Sekunden Vorsprung.
Mit seinem dritten Etappensieg entriss Pogacar Roglic das Gelbe Trikot – und krönte sich mit 21 Jahren zum jüngsten Tour-Sieger seit 1904. Ein Tag für die Geschichtsbücher.
Primoz Roglic beherrschte die Tour 2020 bis zur Etappe 20
Die Radsportwelt stand still, als der junge Slowene am Vorabend seines 22. Geburtstags realisierte: Er hatte die Tour de France bei seinem ersten Anlauf gewonnen. Nicht nur der Sieg selbst, sondern die Art und Weise war spektakulär und historisch.
Auf dem Gipfel der Planche des Belles Filles spielten sich emotionale Szenen ab. Pogacar brach im Ziel erschöpft und überwältigt zusammen. Der Moment, in dem ihm bewusst wurde, dass ihm das Maillot Jaune gehörte, ging um die Welt. Auf der anderen Seite erlebte Primoz Roglic das wohl bitterste Finish seiner Karriere.
Der sonst so kontrollierte Slowene wirkte geschockt. Als er seinen Helm abnahm, zeigte sich in seinem blassen Gesicht der ganze Schmerz dieser Niederlage. Nach elf Tagen im Gelben Trikot verlor er die Tour auf den letzten Kilometern – ein sportliches Trauma. Viele fühlten sich an Laurent Fignons legendären Einbruch 1989 erinnert, als dieser im abschließenden Zeitfahren seinen Vorsprung auf Greg LeMond verspielte – damals waren es acht Sekunden. Roglic verlor mit 59 Sekunden – und doch war der Moment ähnlich brutal.
Pogacar hingegen holte sich alles: das Gelbe Trikot, das Gepunktete Trikot des besten Bergfahrers und das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers. Ein historischer Dreifachsieg. Roglic wurde Zweiter, Richie Porte komplettierte das Podium.
Doch das große Thema lautete: Pogacar vs. Roglic. Die Tour 2020 wurde zum slowenischen Drama mit einem Ausgang, den niemand vorhergesehen hatte.
Eine Rivalität endet, bevor sie richtig beginnt?
Die Rivalität zwischen Tadej Pogacar und Primoz Roglic versprach, die kommenden Jahre der Tour de France zu prägen. Doch das Schicksal machte diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung.
2021 verteidigte Pogacar seinen Titel mit beeindruckender Dominanz. Roglic hingegen stürzte in der ersten Woche schwer und musste das Rennen frühzeitig aufgeben. Das lang ersehnte Duell blieb aus.
Auch 2022 wollte Roglic angreifen – diesmal als Co-Leader bei Jumbo-Visma. Gemeinsam mit Jonas Vingegaard sollte er Pogacar unter Druck setzen. Doch erneut kam es anders: Sturzverletzungen zwangen Roglic zum Rückzug vor der letzten Woche.
In seiner Abwesenheit rückte Vingegaard ins Rampenlicht. Der Däne bezwang Pogacar und holte sich den Gesamtsieg – ein neues Kapitel der Rivalität war eröffnet, allerdings ohne Roglic.
Roglic hat die Tour seit 2020 nicht mehr beendet
Pogacar dominiert, Roglic bleibt vom Pech verfolgt
Trotz seines immensen Talents verpasste Primoz Roglic in mehreren Jahren die Tour de France – meist wegen Stürzen und Verletzungen. Sein Landsmann Jonas Vingegaard übernahm die Rolle als Hauptgegner von Tadej Pogacar. 2023 richtete Roglic seinen Fokus auf den Giro d’Italia, den er auch gewann, während Vingegaard erneut die Tour für sich entschied – erneut vor Pogacar.
Die slowenische Rivalität, die 2020 für ein echtes Feuerwerk sorgte, fand bei der Tour nie eine Fortsetzung. 2021 hätte das große Rückduell sein sollen, doch Roglic musste erneut vorzeitig aufgeben. Seitdem hat Vingegaard sich als Pogacars größter Herausforderer etabliert.
Pogacar selbst hat sich zur dominierenden Figur einer neuen Radsport-Generation entwickelt: drei Tour-Siege (2020, 2021, 2024), ein Giro-Titel, ein Weltmeistertitel und zahlreiche Monumente sprechen eine klare Sprache. Roglic blieb der große Coup in Frankreich verwehrt – obwohl er vier Mal die Vuelta a España gewann (2019, 2020, 2021, 2024) und mehrere WorldTour-Erfolge einfuhr.
2024 kehrte Roglic mit Red Bull – BORA – hansgrohe zur Tour zurück, doch ein Sturz zwang ihn erneut zum Aufgeben. Seit jener bitteren 20. Etappe 2020 scheint ihm das Glück bei der Grande Boucle den Rücken gekehrt zu haben.
Das epische Duell von 2020 bleibt dennoch unvergessen – ein Drama aus Mut, Talent und Schicksal. Es war Pogacars endgültiger Durchbruch und Roglics tragischster Moment. Auch wenn neue Rivalitäten seither im Rampenlicht stehen: Die Bilder der beiden Slowenen im Zeitfahren und in den Bergen gehören für immer zur Geschichte der Tour de France.
Im Juli stehen sie beide wieder am Start. Bleibt nur die Frage: Hat Roglic noch einen letzten großen Wurf im Tank? Oder sollte er sich auf Etappensiege konzentrieren?