Philippa Yorks Analyse der Attacke auf der 9. Etappe in Valdezcaray fasst die erste Vuelta-Woche treffend zusammen. Für die ehemalige Vuelta-Zweitplatzierte hat
Jonas Vingegaard das Rennen bereits spürbar geprägt. „Er hat sie aus den Socken gehauen, als sie es am wenigsten erwartet haben“, sagt York über den Leader von Visma | Lease a Bike.
Was als abwartendes, taktisches Duell der Gesamtklassement-Fahrer geplant war, entwickelte sich zu einem Schaulaufen des „neuen, dynamischen Vingegaard“. Statt passiv auf Gelegenheiten zu warten, griff er entschlossen an. Schon sein früher Sieg auf der 2. Etappe deutete auf diesen Strategiewechsel hin. In Valdezcaray bestätigte er das Bild: aus einer vermeintlichen Patt-Situation heraus lancierte er eine Attacke, die das UAE Team Emirates kalt erwischte.
„Die beiden großen Tage in Andorra boten keine Chancen, also blieb er ruhig, folgte Almeida und wiegte alle in falscher Sicherheit“, erklärt York. Am Valdezcaray habe Vingegaard dann eiskalt zugeschlagen. Almeida, so York, „hat nicht aufgepasst und war nicht da, wo er hätte sein sollen – direkt am Hinterrad des Dänen.“ Das kostete wertvolle Kräfte. „An einem so schnellen Anstieg wäre er am Rad von Vingegaard gut aufgehoben gewesen, auch wenn er den Sprint kaum gewonnen hätte. Der neue Vingegaard ist ziemlich schnell.“
Während Almeidas Stärke klar erkennbar ist, bleibt die Teamstruktur der VAE widersprüchlich. Juan Ayuso, zu Beginn noch als Co-Leader gehandelt, liegt bereits fast 22 Minuten zurück. Damit, so York, „ist die Führungsfrage im UAE Team früh geklärt.“ Doch Ayusos neue Rolle helfe Almeida nicht unbedingt. „Wenn er die Klasse für Etappensiege hat, warum darf er dann unten an den Anstiegen sitzen, statt seinem Leader zu helfen?“, fragt York. Visma hingegen habe schnell reagiert. Sepp Kuss sei nun gefordert, mögliche Taktiken der VAE frühzeitig abzufangen.
Hinter Vingegaard und Almeida herrscht Chaos im Kampf ums Podium. „Mehrere Fahrer leiden in der GC-Gruppe, glauben aber weiter an ihre Chance auf das Podium“, analysiert York. Lidl-Trek musste einen Rückschlag verkraften, als Giulio Ciccone auf der 9. Etappe „schwer verbrannt wurde“. Felix Gall und Tom Pidcock sind zwar gut positioniert, doch die 13. Etappe am Angliru wird für beide zum entscheidenden Test.
Die Abstände im Klassement sind eng. Zwischen Platz zehn und sechzehn liegen weniger als 90 Sekunden. Fahrer wie Lorenzo Fortunato, Jai Hindley oder Giulio Pellizzari könnten von den schweren Bergen profitieren. Auch Egan Bernal und Matteo Jorgenson rechnet York Chancen aus, taktische Momente für einen Vorstoß in die Top Ten zu nutzen.
Die erste Woche brachte bereits Überraschungen: David Gaudu setzte sich im Sprint gegen Mads Pedersen durch, und Torstein Traeen verteidigte für Bahrain Victorious das Rote Trikot. Doch für York ist klar: der Angliru wird zum entscheidenden Gradmesser der Vuelta.
Am Ende bleibt ihre Einschätzung eindeutig: UAE muss seine Taktik überdenken, Almeida darf sich keinen Fehler leisten, und Vingegaard hat seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. „Der Tag am Angliru wird der Schlüsselmoment der zweiten Woche sein“, sagt York. „Noch ist alles möglich, aber eines steht schon fest: Jonas Vingegaard wird allen wehtun.“