Von Beginn an war klar: Die 18. Etappe der
Tour de France 2025 würde ein Prüfstein. Nicht nur für die Favoriten auf das Gesamtklassement, sondern auch für Hoffnungsträger wie
Florian Lipowitz. In der aktuellen Ausgabe des
„Sportschau Tourfunk“-Podcasts der ARD, erschienen am Abend nach dem Bergetappen-Kraftakt, sprechen Host Moritz Casalette und Reporter Holger Gerska über dramatische Momente, riskante Taktiken – und über den Mut eines jungen deutschen Fahrers. Eingestreut: ein spannendes Interview mit Lipowitz selbst sowie exklusive Einblicke in die Logistik hinter den Kulissen durch LKW-Fahrer Olaf. Das Resultat: eine Etappe, die in Erinnerung bleiben wird – mit Emotion, Strategie und ganz viel Drama.
Die Atmosphäre, in der die Podcastfolge entstand, war bezeichnend für den Tag: Aufgeräumt wurde im Nieselregen von Courchevel, es hat gehagelt, es war kalt, manchmal warm – und definitiv nass. Der Ort, so berichtet Casalette, liegt noch auf dem Berg, weit weg vom Hotel. Daher die Podcast-Ausgabe in kleiner Runde. Nur Casalette und Gerska – aber mit großer Substanz.
„Es war eine Etappe geprägt von Hochspannung, von Taktik, von ständigen Wendungen und vielleicht auch falscher Taktik“, fasst Casalette früh zusammen – und liefert damit das Leitmotiv der Folge.
Drei Berge der höchsten Kategorie – und ein Name, der haften bleibt
Die Königsetappe forderte alles: Drei Anstiege der höchsten Kategorie, Attacken an ungewohnten Stellen, Überraschungen im Taktikbuch der Teams. Die erste erwähnenswerte Aktion war der Zwischensprint – gewonnen von Jonathan Milan, womöglich entscheidend im Kampf um das grüne Trikot.
Dann: eine Fluchtgruppe mit Felix Gall, begleitet von Teamkollege
Primoz Roglic. Ziel: Entweder Etappensieg oder Zeitgewinn, vor allem im Kampf mit Lipowitz, der in der Favoritengruppe zurücklag. Denn: Florian Lipowitz, Dritter der Gesamtwertung und Träger des weißen Trikots, fuhr zu diesem Zeitpunkt ein kontrolliertes Rennen – zunächst.
Doch als der zweite Berg, der Col de la Madeleine, erreicht wurde, eskalierte das Geschehen.
Jonas Vingegaard attackierte früh.
Tadej Pogacar – isoliert, ohne Teamkollegen – konterte mühelos. Vorn half Matteo Jorgenson mit, während Lipowitz zunächst noch mithalten konnte, dann aber auf sich allein gestellt war.
Solo am Madeleine – und dann eine riskante Entscheidung
Lipowitz fuhr den Madeleine solo hoch. Während Vingegaard, Pogacar und Jorgenson die Spitzengruppe mit Roglic einholten und in atemberaubendem Tempo die Abfahrt nahmen, lag Lipowitz rund 45 Sekunden dahinter – ganz allein. Als vorn das Tempo sank, schloss Lipowitz wieder auf. Und dann tat er das, was den Tag definieren sollte: Er attackierte.
Zunächst alleine, dann zusammen mit Jorgenson, der zuvor ebenfalls vorne war. Die Favoritengruppe – Vingegaard, Pogacar, Roglic – ließ gewähren. Auch Oskar Onley, direkter Konkurrent von Lipowitz im Kampf um Rang 3 und das weiße Trikot, war dort dabei. Der Vorsprung von Lipowitz wuchs auf bis zu drei Minuten.
Doch was folgte, war eine langsame, zähe Rücknahme dieses Vorsprungs. Kurz vor dem Ziel wurde Lipowitz gestellt und überholt. Am Ende verlor er sogar noch Zeit – konnte aber mit 22 Sekunden Vorsprung Platz 3 und das weiße Trikot behalten.
„Er hat alles auf eine Karte gesetzt“, analysiert Gerska. „Aber vielleicht war es am Ende zu offensiv.“
„Die letzten zwei Kilometer waren wirklich die Hölle“ – Lipowitz im O-Ton
Die Podcastmacher lassen Lipowitz selbst zu Wort kommen – im Interview mit ARD-Reporter Michael Antwerpes. Direkt nach der Etappe oben im Ziel schildert der junge Deutsche seine Sicht:
„Dann habe ich es probiert, habe die Lücke bekommen und [...] versucht, mich fest zu beißen. Aber ja, die letzten 10 Kilometer war die Energie nicht mehr da. Die letzten zwei Kilometer waren wirklich die Hölle.“
Er wirkt erschöpft, aber aufrecht. Auch zur Taktik äußert er sich:
„Wahrscheinlich habe ich einfach zu viele Körner liegen lassen im Tal. Aber ich denke, ich habe was versucht, und ich kann trotzdem zufrieden sein.“
Antwerpes hakt nach: Wird das Duell mit Onley nun eng? Wie geht es weiter? Lipowitz bleibt vorsichtig optimistisch:
„Morgen wird noch mal ein super harter Tag. [...] Jetzt erstmal erholen, und dann denke ich, dass wir als Team einen guten Plan machen.“
Auch zur Rolle von Teamkollege Roglic äußert er sich diplomatisch:
„Wir haben beide offene Rollen. [...] Ich glaube, wenn man den Tag hat, dann muss man auch fahren.“
Emotional wird es, als Lipowitz auf die Unterstützung durch Fans und Familie angesprochen wird:
„Ich habe meine Familie gesehen, ein paar Freunde. So viele Leute, die meinen Namen gerufen haben – das war absoluter Wahnsinn.“
Taktik, Drama, Kritik – Die Analyse
Zurück im Podcast analysieren Casalette und Gerska detailliert, was hätte anders laufen können. Der Hauptkritikpunkt: Lipowitz’ Solo war wohl nicht die klügste Wahl. Zwar zeigte er Kampfgeist und Leidenschaft – aber strategisch war der Alleingang angreifbar.
„Es war wahrscheinlich die falsche Idee“, sagt Casalette. „Aber man muss sich fast bedanken bei Florian Lippowitz.“
Denn: Er habe mit seinem Ritt die Herzen erobert. Auch international, wie Gerska berichtet:
„Er fuhr so oft alleine, bei den meisten Kollegen ging ein Raunen durch – was er sich traut!“
Auch das Taktieren der Großen kam zur Sprache. Pogacar und Vingegaard – das ewig junge Duell – fuhren lange gemeinsam, nahezu synchron, bis Pogacar auf den letzten 300 Metern davonzog. Onley, der dabei mithielt, wird besonders hervorgehoben:
„Der war super. [...] Bis auf die letzten 300 Meter ist er mitgefahren.“
Zweimal hatte Onley große Rückstände auf Lipowitz – zweimal holte er sie auf.
Ein Blick voraus – Optionen, Strategien, Spekulationen
Wie geht es nun weiter? Gerska formuliert zwei Optionen:
Defensive Taktik: Lipowitz bleibt an Onley dran, attackiert vielleicht zum Schluss.
Offensive Strategie: Roglič greift an, zieht Onley mit – Lipowitz kontert.
Wichtig sei vor allem: Zusammenarbeiten, nicht aneinander vorbeifahren. Das wäre, so Gerska, „keine schlaue Idee“.
Auch die Streckenzusammensetzung wird diskutiert. Dieses Jahr endet die Tour nicht klassisch mit dem Paris-Sprint. Der letzte Tag bietet mit dem Anstieg zum Montmartre noch Chancen für Verschiebungen.
„Diesen Nichtangriffspakt am letzten Tag – den hat man außer Kraft gesetzt.“
„Wir sehen uns in La Plagne“ – Ein Blick hinter die Kulissen mit Olaf
Besonders sympathisch: Das Gespräch mit Olaf, einem der LKW-Fahrer der ARD. Er gewährt tiefe Einblicke in die logistische Mammutaufgabe hinter der Tour.
„Jetzt werden wir erst mal warten, bis die Strecke frei ist. [...] Dann fahren wir runter, heute Nacht nach La Plagne, parken ein, machen Teilaufbau.“
Der Alltag sei geprägt von Geduld, Teamarbeit – und wenig Schlaf:
„Ein kleines Feierabendbierchen, ein kurzes Gespräch – und dann setzen wir uns ins Auto oder auf die Liege.“
Olaf und seine Kollegen sind selten sichtbar, aber essenziell. Die Anerkennung durch Casalette kommt von Herzen:
„Die Radprofis haben am härtesten zu tun. Aber gleich danach kommt ihr.“
Psychologie und Perspektive: Zwischen Wagnis und Wirkung
Was bleibt nach solch einer Etappe zurück – jenseits der sportlichen Fakten, der Zeitabstände und der taktischen Optionen? Vielleicht ist es genau diese Frage, die das Aufeinandertreffen zwischen Florian Lipowitz, Oskar Onley und den Topfavoriten so besonders macht: die emotionale Dimension des Rennens, das Ringen nicht nur um Positionen, sondern auch um persönliche Grenzen.
Im modernen Radsport, der seit Jahren von kalkulierter Wattzahl und minutiös vorbereiteten Teamstrategien geprägt ist, war Lipowitz’ offensives Solo eine wohltuende Ausnahme. Er wagte das Ungewöhnliche, handelte vielleicht nicht rational – aber er handelte. Und dieses Handeln hatte Wirkung, auf Zuschauer wie Kollegen gleichermaßen.
„Er ist einfach mal losgefahren nach Herz und guter Laune", beschrieb Holger Gerska die Szene treffend.
Gerade in einem so kontrollierten Umfeld wie der Tour de France hat eine solche Fahrt Seltenheitswert. Dass Lipowitz dabei möglicherweise überzog, zu früh zu viel investierte und am Ende dafür zahlen musste, gehört zur Geschichte. Aber es schmälert nicht den Eindruck, den er hinterließ – und vielleicht war dieser Eindruck mehr wert als ein paar Sekunden in der Gesamtwertung.
Zudem zeigt der Verlauf der Etappe einmal mehr, wie schmal der Grat ist zwischen Heldentat und Himmelfahrtskommando. Wer nichts wagt, verliert nie – aber gewinnt auch nichts. Lipowitz hat gewagt. Und allein dafür gebührt ihm Anerkennung.
Wie sich dieser Mut in den kommenden Tagen auswirken wird, bleibt offen. Doch eines ist klar: Ein Fahrer, der bereit ist, seine Grenzen zu testen – und das nicht nur im physikalischen Sinne –, hat nicht nur Chancen auf das Podium, sondern auch auf bleibende Sympathie. Bei den Fans. Und im Peloton.
Eine Etappe, die alles hatte – und ein Fahrer, der Eindruck hinterlässt
Die 18. Etappe der Tour de France 2025 war ein sportliches Drama. Florian Lipowitz zeigte Mut, wagte mehr als viele – und wurde nicht vollständig belohnt, aber auch nicht bestraft. Noch trägt er das weiße Trikot. Noch ist er Dritter. Noch ist alles möglich.
Die 19. Etappe, heute von Albertville nach La Plagne, ist der letzte ernsthafte Bergetappen-Test dieser Tour de France 2025 – und mit einer Länge von nur rund 93–95 Kilometern zugleich die kürzeste klassische Etappe des Rennens Die ursprüngliche Route wurde aufgrund eines Ausbruchs der ansteckenden nodulären Dermatitis bei Rindern in der Region um den Col des Saisies gestrichen – zwei geplante Anstiege entfallen, der Start wurde um eine Stunde nach hinten verlegt.
Trotz der Kürzung bleibt der Parcours brutal: Es stehen drei schwere Anstiege an, darunter der lange Col du Pré und der finale La Plagne (19 km bei circa 7,2 % Steigung), bei insgesamt mehr als 3.200 Höhenmetern in diesem kurzen Rennen. Es wird erwartet, dass Tadej Pogacar seinen Vorsprung von über vier Minuten auf Vingegaard nicht mehr in Gefahr bringt – der Fokus liegt auf dem Platz drei im Gesamtklassement: Florian Lipowitz (+11:01) verteidigt diesen nur 22 Sekunden vor
Oscar Onley.
Red Bull - BORA - hansgrohe wird strategisch abwägen: Lipowitz defensiv begleiten oder den erfahrenen Primoz Roglic erneut als aggressive Option ins Rennen schicken? Ein weiterer Angriff in der Königsklasse könnte Onley in Bedrängnis bringen – und Lipowitz die dritte Position sichern. Die Etappe verspricht kürzeste, aber hochintensive Alpin-Action – mit potenziell entscheidenden Momenten im Kampf um das Podium.