DISKUSSION Vuelta a España Etappe 4 | Hat Jonas Vingegaard das Rote Trikot absichtlich aufgegeben? Ist die Taktik von LIDL-Trek falsch?

Radsport
Dienstag, 26 August 2025 um 21:30
Vingegaard
Die vierte Etappe der Vuelta a España 2025 führte über 212 Kilometer und war damit die längste der gesamten Rundfahrt. Zwar war das Terrain nicht komplett flach, doch die Strecke bot den Sprintern eine weitere Gelegenheit, sich zu behaupten. Gleichzeitig markierte sie den letzten Tag außerhalb des spanischen Staatsgebiets – ein symbolischer Übergang zurück ins Herz der Grand Tour.
Der Start verlief hügelig, mit zahlreichen kurzen Anstiegen, die Ausreißern in die Karten spielten. Fünf Fahrer nutzten die Gelegenheit und setzten sich früh ab: Sean Quinn (EF Education-EasyPost), Louis Vervaeke (Soudal-QuickStep), Joel Nicolau (Caja Rural), Kamiel Bonneau (Bingoal WB) und Mario Aparicio (Burgos-BH) bildeten die Fluchtgruppe des Tages. Besonders Quinn und Nicolau zeigten sich aktiv – beide hatten das Bergtrikot im Visier, das seit dem Vortag Alessandro Verre trug.
Nicolau sammelte die meisten Punkte auf den kategorisierten Anstiegen und sicherte sich damit das gepunktete Trikot für den Folgetag. Die Gruppe harmonierte gut, doch das Hauptfeld ließ sie nie zu weit ziehen. LIDL-Trek übernahm früh die Kontrolle und hielt das Tempo konstant hoch – eine Strategie, die bereits am Vortag Anwendung fand.
Im letzten Renndrittel wurde die Fluchtgruppe gestellt. Einzelne Fahrer wie Sinhué Fernández und Bruno Armiraila versuchten sich mit Soloattacken, doch das Peloton reagierte schnell und ließ keine Überraschungen zu. Die letzten Kilometer führten leicht bergauf – ein Finale, das Mads Pedersen entgegenkommen sollte. Doch der Däne war schlecht positioniert und konnte seine Sprintstärke nicht ausspielen.
Alpecin-Deceuninck eröffnete den Sprint, doch Jasper Philipsen fehlte der entscheidende Punch. Ben Turner von INEOS Grenadiers nutzte die Unordnung im Sprintzug, setzte sich mit einem explosiven Antritt durch und feierte seinen dritten Profisieg – der prestigeträchtigste seiner Karriere.
Im Gesamtklassement gab es ebenfalls Bewegung: David Gaudu (Groupama-FDJ) übernahm das Rote Trikot von Jonas Vingegaard (Visma-Lease a Bike). Dank besserer Platzierungen rückte der Franzose erstmals in seiner Karriere an die Spitze einer Grand Tour.

Juan López (CiclismoAlDía)

Die heutige Etappe war eine verpasste Gelegenheit für die Organisatoren. Bei einer Vuelta, die 2025 mit zahlreichen Bergetappen glänzt, wirkt es fast fahrlässig, die Alpen lediglich zu streifen und mit einem Sprintfinale zu enden. Dass selbst Jasper Philipsen nicht abgehängt wurde, spricht Bände. Es ist enttäuschend, wie oft der Süden Spaniens bei der Streckenplanung ignoriert wird – ein Trend, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat.
Sportlich war der Tag dennoch nicht ohne Glanz. Ben Turner verdient höchsten Respekt – er entwickelt sich zu einem ernstzunehmenden Sprinter mit Punch. INEOS hat im Finale alles richtig gemacht. Dagegen leistete sich Alpecin einen taktischen Fehler, der Philipsen den Sieg kostete.
Lidl-Trek enttäuscht bislang auf ganzer Linie. Beim Giro und der Tour zeigten sie starke Leistungen, doch bei der Vuelta fehlt die Präzision. Pedersen war heute physisch stark, aber taktisch schlecht platziert. INEOS hat Lidl-Trek heute eine Lehrstunde erteilt – auch im Sprint gewinnt man als Team.
Die Streckenführung wirft Fragen auf. Warum nutzt man die Alpen nicht für eine selektive Etappe, wenn man ohnehin dort unterwegs ist? Stattdessen gab es einen Sprint, der kaum Spannung erzeugte. Die Ausreißergruppe war schwach besetzt, das Rennen vorhersehbar. Die Zuschauer verdienen mehr als ein taktisch uninspiriertes Finale.
Philipsens Teamkollege Edward Planckaert fuhr stark, doch sein Fehler im Positionsspiel kostete den Belgier den Sieg. Turner nutzte die Lücke, die sich durch Planckaerts Fahrweise ergab, und setzte sich mit einem explosiven Sprint durch. Ein verdienter Sieg, aber einer, der durch taktische Fehler der Konkurrenz begünstigt wurde.
Ben Turner setzte sich gegen Jasper Philipsen durch und holte seinen bisher größten Sieg
Ben Turner setzte sich gegen Jasper Philipsen durch und holte seinen bisher größten Sieg

Rúben Silva (CyclingUpToDate)

Diese Etappe war ein klassischer „Nichts-Burger“. Ich hatte keine großen Erwartungen – und wurde nicht überrascht. In Woche zwei oder drei gewinnen fast immer die Ausreißer, doch heute wollte niemand früh Verantwortung übernehmen. Die Teams agieren zu konservativ, was in einer Grand Tour selten zum Erfolg führt.
Trotz 2000 Höhenmetern blieb das Rennen sprinterfreundlich. Kein einziger Sprinter geriet ernsthaft in Schwierigkeiten. Der bergauf führende Sprint war typisch für die Vuelta, aber nicht besonders selektiv. Ob der stärkste Fahrer gewonnen hat? Schwer zu sagen.
Edward Planckaert wirkte am stärksten, doch er blockierte ungewollt seinen Teamkollegen Philipsen. Turner nutzte die Lücke eiskalt aus und überholte beide Alpecin-Fahrer. Er ist prädestiniert für solche Ankünfte – explosiv, taktisch klug und mit perfektem Timing.
Die Etappe zeigte erneut, wie wenig Risiko manche Teams zu Beginn einer Grand Tour eingehen wollen. In der zweiten Woche werden dieselben Mannschaften verzweifelt versuchen, Etappen aus der Flucht zu gewinnen – und viele werden scheitern. Die heutige Etappe war eine verpasste Gelegenheit für mutige Fahrer.
Die Ausreißergruppe war nicht nur klein, sondern auch wenig ambitioniert. Kein Fahrer mit ernsthaften Ambitionen auf eine Etappe oder das Bergtrikot war vertreten. Die Teams mit Sprinter-freien Aufstellungen blieben passiv, obwohl das Terrain ihnen entgegenkam. Es ist schwer nachvollziehbar, warum man solche Chancen verstreichen lässt.
Auch die Zuschauer wurden nicht gerade verwöhnt. Die Spannung fehlte, das Finale war vorhersehbar. Selbst die Kommentatoren taten sich schwer, dem Rennen Dynamik zu verleihen. Die Vuelta lebt von Überraschungen – heute blieb sie aus.

Félix Serna (CyclingUpToDate)

Ben Turner hat heute Geschichte geschrieben. Gegen einen Top-Sprinter wie Jasper Philipsen zu gewinnen, ist kein Zufall. Turner hat sich über die Jahre kontinuierlich verbessert und zeigt nun seine Klasse. Dass er kurzfristig für Lucas Hamilton einsprang, macht seinen Erfolg umso bemerkenswerter. Letzte Woche fuhr er noch in Renewi, heute gewinnt er bei der Vuelta – eine unglaubliche Entwicklung.
Alpecin arbeitete wie gewohnt stark für Philipsen, doch Planckaert machte einen entscheidenden Fehler. Er fuhr zu nah an den Absperrungen, während Turner und Vernon rechts freie Bahn hatten. Planckaert musste nach rechts ausweichen, öffnete aber keine Lücke für Philipsen. Der Belgier wurde ausgebremst und konnte seinen Sprint erst starten, als Turner bereits vorbeigezogen war. Zu spät, um noch zu kontern.
Philipsens zweiter Platz ist bitter, aber besser als das Ergebnis von Pedersen. Lidl-Trek investierte erneut viel Energie, kontrollierte das Rennen, aber scheiterte an der Positionierung ihres Kapitäns. Ohne Helfer im Finale verpuffte Pedersens Stärke. Das Team muss seine Strategie überdenken – wer die ganze Arbeit macht, sollte auch die Früchte ernten.
David Gaudu nutzte seine Chance clever. Er wusste, dass er Vingegaard überholen kann, wenn er acht Plätze vor ihm ins Ziel kommt – und genau das tat er. Vingegaard scheint das Trikot nicht verteidigen zu wollen, sondern konzentriert sich auf die entscheidenden Etappen. Morgen steht das Mannschaftszeitfahren an, und es ist unwahrscheinlich, dass Groupama-FDJ gegen Visma bestehen kann.
Die Ausreißergruppe war erneut enttäuschend. Bei einem hügeligen Start über 80 Kilometer hätte man mehr erwarten dürfen. Doch die sprinterlosen Teams zeigten erneut wenig Initiative. Die Folge: eine vorhersehbare Etappe mit fünf Fahrern in der Flucht. In Woche drei werden viele Teams zurückblicken und sich ärgern, dass sie diese Chancen nicht genutzt haben.
Die taktische Zurückhaltung vieler Mannschaften ist auffällig. Selbst Teams mit starken Puncheurs oder Allroundern verzichten auf frühe Attacken. Das Rennen entwickelt sich dadurch zu einem kontrollierten Prozess, bei dem Überraschungen kaum möglich sind. Turner hat gezeigt, dass man auch in einem scheinbar langweiligen Finale brillieren kann – wenn man mutig und aufmerksam fährt.
Und du? Was denkst du über das, was heute passiert ist? Schreib uns einen Kommentar und beteilige dich an der Diskussion!
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