Die
Tour de France biegt auf die Zielgerade ein, und mit der 19. Etappe liegt die letzte große Bergetappe hinter dem Peloton. Während
Tadej Pogacar mit dem Gelben Trikot kaum noch vom Gesamtsieg abzubringen ist, bot der Tag in den Alpen reichlich Gesprächsstoff:
Thymen Arensman triumphierte mit einer brillanten Leistung, das Duell Pogacar vs. Vingegaard verlief unerwartet passiv – und
Florian Lipowitz steht vor einem historischen Podiumsplatz. Unsere Redakteure ordnen das Geschehen ein.
Pascal Michiels (RadsportAktuell)
Wie schon Ben O’Connor am Vortag war Thymen Arensman heute ein großartiger Sieger. Dass er als Debütant zwei Bergetappen bei einer Tour gewinnt – das hat noch kein Niederländer vor ihm geschafft. Ein bemerkenswerter Meilenstein. Arensman hat heute nicht nur körperlich überzeugt, sondern auch taktisch klug agiert: Drei Mal griff er an – der dritte Versuch saß. Das zeugt von Mut und Cleverness. Pure Klasse.
Und Pogacar? Nach seinem letzten Angriff wirkte er erschöpft, beinahe frustriert – nicht über sich selbst, sondern über Vingegaard. Der Däne ließ Arensman bei dessen entscheidendem Angriff ziehen, folgte Pogacar lediglich kontrollierend. Pogacar schien zu hoffen, Vingegaard würde auf den letzten Kilometern die Lücke zu Arensman schließen. Doch der Däne verweigerte jede Zusammenarbeit.
Die Verantwortung übernahm schließlich Florian Lipowitz, der mit einem starken vierten Platz seine Podiumsambitionen zementierte. Sollte nichts mehr schiefgehen, wird erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder ein Deutscher auf dem Tour-Podium stehen. Der deutsche Radsport ist zurück.
Ondřej Zhasil (CyclingUpToDate)
Seit Pogacar in Woche zwei die Kontrolle übernommen hat, ist die Spannung im Gesamtklassement fast vollständig verpufft. Auch heute war der Kampf um die Top-Plätze wenig spektakulär. Oscar Onley konnte Lipowitz zu keiner Zeit gefährden, und abseits von einem schlechten Tag oder einem Sturz ging es bei den anderen nur noch um Schadensbegrenzung.
Gall nutzte die Gelegenheit und schob sich durch seine Konstanz auf Rang fünf – hochverdient. Roglic hingegen? Ein Rätsel. Er arbeitete kein einziges Mal für Lipowitz und verzettelte sich stattdessen erneut in einem vergeblichen Angriff. Wenn er sich künftig auf Etappensiege konzentriert, wäre das vielleicht ehrlicher. Als Grand-Tour-Sieger sehe ich ihn in der Ära Pogacar/Vingegaard nicht mehr.
Carlos Silva (CiclismoAtual)
Roglic versuchte es erneut – und explodierte wieder. Doch für Red Bull war es dennoch ein guter Tag: Oscar Onley verlor den Anschluss, Florian Lipowitz konnte davon profitieren. Pogacar und Vingegaard verzichteten auf Attacken – wohl auch, weil Pogacars Vorsprung uneinholbar ist. Aber: Wäre ein Etappensieg für Pogacar nicht dennoch ein Ziel gewesen?
Vielleicht. Aber Vingegaard, der bisher noch keine Etappe gewonnen hat, ließ sich auf kein Szenario ein, in dem Pogacar profitieren könnte. Stattdessen machte Arensman alles richtig – und gewann verdient. Für mich der Mann des Tages. Eine herausragende Leistung am Berg. Chapeau!
Félix Serna (CyclingUpToDate)
Schon am Col du Pré war klar: UAE will die Etappe. Tim Wellens setzte ein brachiales Tempo, das fast das gesamte Visma-Team zerlegte. Die Ausreißer wurden nicht weggelassen – Pogacars Attacke am Schlussanstieg schien nur eine Frage der Zeit.
Doch obwohl Pogacar angriff, konnte er sich nicht entscheidend absetzen. Vingegaard neutralisierte jede Aktion – nicht, um zu gewinnen, sondern um Pogacar daran zu hindern, einen weiteren Etappensieg zu holen. Er überließ dem Slowenen die Führungsarbeit und verzichtete konsequent auf eigene Vorstöße. Auf den letzten Metern zog er sogar noch an Pogacar vorbei.
Diese dritte Woche zeigt uns zwei Fahrer auf Augenhöhe. Pogacar scheint nicht mehr so frisch wie zuvor, Vingegaard wird stärker. Die Vuelta könnte ein neues, enges Kapitel in ihrer Rivalität eröffnen.
Was das restliche Feld betrifft: Arensman fuhr klug und aus dem Feld heraus – nicht aus einer Ausreißergruppe! Damit rettet er die Tour für Ineos, die nach Gannas Ausstieg und Carlos’ Einbruch ziemlich trostlos aussah.
Und Red Bull? Ihre Taktik bleibt schwer nachvollziehbar. Lipowitz stark wie nie, doch Roglic stürzt in der Gesamtwertung von Platz fünf auf acht. Er verlor über zwölf Minuten – eine Top-5-Platzierung wäre für ihn wertvoll gewesen. Doch echte Unterstützung für Lipowitz? Fehlanzeige.
Falls Evenepoel wirklich zu Red Bull Bora kommt, wird spannend, wie sich die Rollen verteilen. Lipowitz jedenfalls macht große Schritte – vielleicht ist er bald der unumstrittene Kapitän.
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