Etappe 6 des Critérium du Dauphiné bot den Fahrern den ersten Härtetest in den Bergen und markierte den Auftakt des bevorstehenden Super-Wochenendes.
Acht Fahrer setzten sich früh ab, darunter auch Mathieu van der Poel, der keine Gelegenheit auslässt, im Rennen präsent zu sein. Doch die Ausreißergruppe hatte nie echte Chancen, denn das Peloton hielt sie über die gesamte Etappe hinweg auf Tuchfühlung.
Florian Lipowitz war der erste der Favoriten, der am Côte du Mont Saxonnex attackierte und das Hauptfeld auf kaum zehn Fahrer reduzierte. Er wurde jedoch wieder gestellt, und am Schlussanstieg diktierte UAE ein brutales Tempo – ein klarer Vorbote für eine Pogacar-Attacke.
Und genau das geschah: Rund 7 Kilometer vor dem Ziel griff Pogacar an – und niemand konnte folgen, nicht einmal sein Dauerrivale
Jonas Vingegaard. Pogacar siegte eindrucksvoll, eine Minute vor Vingegaard und 1:50 Minuten vor Evenepoel.
Nach dem Etappenende baten wir einige unserer Autoren um ihre Eindrücke und wichtigsten Erkenntnisse des Tages.
Pascal Michiels (RadsportAktuell)
Starke Leistung unseres Landsmanns Florian Lipowitz. Taktisch war es vielleicht nicht der klügste Schachzug, auf dem vorletzten Anstieg für ein paar Kilometer die großen Favoriten zu attackieren (mit maximal 15 Sekunden Vorsprung), aber Lipowitz ist noch jung – und warum sollte er es nicht versuchen? Wenn sich die Beine gut anfühlen, warum sie nicht testen?
Am Schlussanstieg hielt er sich zunächst hinter
Remco Evenepoel versteckt, mitten im Angriffswirbel von Pogacar und Vingegaard, nur um den Belgier schließlich zu distanzieren, als er merkte, dass dieser die Lücke zu Pogacar und Vingegaard nicht mehr schließen konnte.
Die Frage war dann, ob ein sehr frischer Jorgenson, der ebenfalls mit Evenepoel unterwegs war, ihn noch einholen könnte. Die Antwort: nein. Am Ende wurde der junge Deutsche Dritter. Er verlor nur rund zehn Sekunden auf Vingegaard und nahm Evenepoel fast eine Minute ab.
Und Pogacar? Der war einfach nicht zu stoppen. Vingegaard brach überraschend früh unter Pogacars Attacke ein, hielt sich zwar einige Hundert Meter auf etwa 14 bis 16 Sekunden Rückstand, aber dann war Schluss – er brach quasi ein. Vingegaard, der sonst so überragende Kletterer, ist offensichtlich noch nicht bereit für die Tour. Pogacar ist es. Er rollte als souveräner Sieger über die Ziellinie. In weniger als zehn Kilometern Bergfahrt nahm er seinem dänischen Rivalen eine ganze Minute ab. Autsch!
Rúben Silva (CyclingUpToDate)
Das war ein spannender Renntag – auch wenn es in Sachen Spannung natürlich nicht ideal ist, dass Pogacar derart dominant auftritt. Eine Sache kann man jetzt aber endgültig beiseitelegen: die Zweifel an seiner Form oder, wie es in den letzten Tagen in den sozialen Medien genannt wurde, das „Underdog-Gehabe“.
Nein, Pogacar ist der klare Topfavorit für den Gesamtsieg beim Critérium du Dauphiné, bei der Tour de France – und das ist unbestritten. Ganz egal, was an diesem Wochenende noch passiert. Visma zeigte sich zwar stark und auf dem gewünschten Niveau, aber gegen einen Gegner wie Pogacar ist einfach kein Kraut gewachsen.
Die siegbringende Attacke kam genau wie erwartet – denn wie jedes Mal liefert Domancy einfach. Es ist ein ikonischer Anstieg. UAE hat vielleicht nicht die reinen Kletterer im Team, aber auf der siebten Etappe könnte es für Pogacar ein wenig schwieriger werden. Doch mit Tim Wellens und Jhonatan Narváez hat er zwei exzellente Helfer für die kurzen, explosiven Anstiege – und das Team hat zudem komplett verinnerlicht, wie man diese Fahrer für offensive Aktionen nutzen kann, die Pogacar perfekt in die Karten spielen.
Taktisch perfekt umgesetzt, das Resultat ideal. Der Vorsprung ist überzeugend, und ich denke, er kann auch die letzten beiden Etappen gewinnen. Dahinter verlief bei den meisten alles im Rahmen der Erwartungen.
Víctor LF (CiclismoAlDía)
Tadej Pogacar ist erneut der Beste. Wieder einmal hat er bewiesen, dass ihm in Topform niemand das Wasser reichen kann – weder Jonas Vingegaard, noch Remco Evenepoel oder sonst jemand. UAE Team Emirates XRG hat einen großartigen Job gemacht, doch der Leader hat einmal mehr seine absolute Klasse gezeigt.
Ein wenig utopisch vielleicht, aber Visma – Lease a Bike, in Überzahl, hätte nach der Côte du Mont-Saxonnax vielleicht entschlossener fahren müssen, um zu verhindern, dass Pogacars Helfer wieder aufschließen. Es war kurzzeitig ein 3-gegen-2 – Ben Tulett, Matteo Jorgenson und Vingegaard gegen Tim Wellens und Pogacar – doch am Ende wurde daraus ein 4-gegen-4, nachdem Sepp Kuss auf der einen und Pavel Sivakov sowie Jhonatan Narváez auf der anderen Seite aufschlossen.
Gerade der Ecuadorianer war entscheidend für die Pogacar-Show. Wie im Rausch zog er an der Côte de Domancy das Tempo an – und übrig blieben nur noch drei Visma-Fahrer, drei von UAE und Remco Evenepoel. Der Träger des Gelben Trikots war der Erste, der reißen lassen musste, gefolgt von den Helfern – auch Jorgenson.
Narváez erledigte seinen Job, und Pogacar blieb mit Vingegaard allein. Doch der Däne konnte nur wenige Sekunden folgen, dann ließ Pogacar ihn ebenfalls stehen. Ein herber Schlag für dieses Critérium du Dauphiné – eines der wenigen prestigeträchtigen Rennen, das Pogacar noch nicht gewonnen hat. Aber vor allem ein schwerer mentaler Schlag mit Blick auf die Tour de France.
Miguel Marques (CiclismoAtual)
Eine Etappe, die deutlich mehr Unterschiede gemacht hat, als ich erwartet hätte – ein mögliches Omen für das Wochenende. Tadej Pogacar hat eine vernichtende Antwort geliefert, und er war nicht der Einzige: Auch UAE zeigte eine starke Vorstellung, vor allem mit Narváez und Wellens – ganz entgegen meiner Prognose.
Pogacar musste nicht einmal wirklich antreten, um Vingegaard abzuhängen – er fuhr, als wäre er wütend. Ein großartiger Sieg an einem Anstieg, an dem er zuvor klar unterlegen war – fast schon poetisch, das ist Pogačar!
Was den Dänen betrifft: Ich hatte gehofft, dass er seine Rückstände etwas besser begrenzen könnte. Eine Minute Rückstand auf einer Etappe, die nicht einmal ins Hochgebirge geht... das ist ganz schön viel, mal sehen, wie er morgen reagiert – individuell und als Team.
Evenepoel sah für mich schon beim Angriff von Kuss angeschlagen aus, und das hat sich dann auch bestätigt. Da fehlt noch etwas Form für die Tour.
Hervorzuheben ist Florian Lipowitz – Dritter auf der Etappe, nun Führender der Nachwuchswertung und Dritter in der Gesamtwertung. Er ist klar im Kampf um die Top 5! Auch Tobias Johannessen hat gute Ansätze gezeigt – bin gespannt, wie er sich morgen im Hochgebirge schlägt. Und nicht zu vergessen: Paul Seixas fährt wieder stark, fest in den Top 10. Weiter so, Paul!
Negativ aufgefallen sind Carlos Rodríguez, Lenny Martínez und Santiago Buitrago. Die ersten beiden könnten vielleicht noch um eine Top-10-Platzierung kämpfen, aber der Kolumbianer ist regelrecht eingebrochen.
Carlos Silva (CiclismoAtual)
Visma war nach dem vorletzten Anstieg des Tages in der Überzahl, doch einmal mehr erwiesen sich die Teamtaktiken als unzureichend. Beim Anfahren des letzten Anstiegs hatte Visma drei Fahrer gegenüber nur zwei von UAE – und wer machte das Tempo an der Spitze der Favoritengruppe? UAE.
Visma hätte ihre zahlenmäßige Überlegenheit ausspielen müssen, ließ aber stattdessen zu, dass zwei UAE-Fahrer wieder zur Gruppe aufschließen konnten – darunter einer, der entscheidend sein sollte: Jhonatan Narváez. Er diktierte ein brutales Tempo, setzte Evenepoel unter Druck und ebnete so den Weg für Pogacars Attacke. Bei 15 % Steigung legte der Slowene ein Tempo vor, dem nur Vingegaard kurzzeitig zu folgen versuchte – vergeblich.
Von da an fuhr Pogacar allein, während die Konkurrenz nur versuchte, die Zeitverluste in Grenzen zu halten. Am Ende zeigte Tadej nicht nur, dass er körperlich in Topform ist und in den Bergen unantastbar, sondern auch, dass er bereit ist – bereit für die Tour de France.
Die Kritiker, die nach dem schwächeren Zeitfahren schon das große Zittern erwartet hatten, müssen nun ihre Worte revidieren. Und man muss klar sagen: UAE ist beim Dauphine alles andere als das stärkste Team. Wenn sich jemand Sorgen machen muss, dann ganz sicher nicht der Weltmeister.
Félix Serna (CyclingUpToDate)
After the shocking time trial in which Tadej Pogacar lost so much time, today was time for redemption. He had to prove again that there is no better rider than him in the world, to clear up all doubts regarding his shape and to demonstrate that he is the undisputed number 1 favourite to win the Tour de France. And of course he did it.
He launched his attack without getting out of the saddle in a Froome-esque style, I think that is a very interesting detail. He has been doing that this year, focusing on imposing an extremely high but sustained pace rather than short-lived explosive attacks. And it is proving to be very effective.
Jonas Vingegaard tried his best to follow Pogacar but he was simply outclassed. We cannot say he wasn’t ambitious, Visma worked hard during part of the stage and he was looking for the stage, but he is just weaker than Pogacar. In a one vs one in the mountains, Tadej is ahead of him, so he will have to look for alternatives if he wants to have a chance.
I think team tactics will be key, and Jonas has the advantage of Jorgenson, who is significantly better than any other UAE domestique. Visma should come up with a plan to effectively use Jorgenson in order to put pressure on UAE, not just at Dauphiné, but also at the Tour. It might be the only chance they have to contest Pogacar’s tyranny.
Remco Evenepoel disappointed me today. After the team announced he was in the shape of his life and 1.5kg lighter than last year at this point of the season, I was definitely expecting him to perform much better, at least being closer to Vingegaard.
But he was dropped too early and never found his rhythm back. First Lipowitz and then Jorgenson attacked him and he never even tried to react. He lost so much time today, almost 2 minutes to Pogacar in 7km… And I don’t think it will be much better tomorrow or on Sunday.
He was even dropped for a moment during the Côte du Mont Saxonnex and that was due to bad positioning in peloton. It is not the first time his team has failed to adequately protect and position him during an important part of the stage, and this has been very costly for him more than once.
Generally speaking, Evenepoel’s teammates are nowhere near the level of UAE or Visma, so that complicates his aspirations even more. He cannot compete one vs one against Pogacar or Vingegaard because he has never proven to be superior, and he cannot rely on trying something with his team either because it is too weak. During the flat section before the final climb, Pogacar and Vingegaard had at least three teammates while Evenepoel had zero…
Florian Lipowitz deserves his flowers, he rode so bravely today. He didn’t hesitate and tried a long-range attack during Mont Saxonnex, where I was totally convinced that nobody would dare to try anything. Despite spending so much energy with that effort and being caught eventually, he didn’t run out of gas and finished third behind the two aliens, beating Evenepoel by a wide margin.
The young German rider keeps improving every day, and given his current form and the great performances he has put in Itzulia and Paris-Nice this year, I wouldn’t be surprised if he goes to the Tour as a co-leader alongside Roglic instead of as a domestique.
The rest of the top 10 was honestly quite a surprise, formed by young riders that have taken a big step forward and might have a very good chance to finish in the top 10 of the GC on Sunday. Paul Seixas is the most striking case for me, he is just 18 years old! And he is already riding with the best…his future is very bright, arguably the best French prospect.
On the contrary, some of the theoretical GC contenders underperformed, such as Carlos Rodríguez, Lenny Martínez or Santiago Buitrago, while Enric Mas seemed strong before the first climb (he even attacked in the descent, an unprecedented milestone) but exploded in the final one.
And you? What are your thoughts about what happened today? Leave a comment and join the discussion!