Die letzte Grand Tour der Saison steht bevor, und bei der kommenden
Vuelta a Espana gibt es viele Geschichten zu erzählen. Der Kampf zwischen
Jonas Vingegaard und den UAE-Fahrern João Almeida und
Juan Ayuso ist sicherlich die größte Frage. Doch schon vor dem Start sprach der belgische Experte und Kommentator Renaat Schotte auch über die Abwesenheit von Tadej Pogacar und die extrem bergige Strecke, die die Chancen der Sprinter stark einschränkt.
Durch die Abwesenheit von Tadej Pogacar ist der Kampf um die Gesamtwertung offener als beim Tour de France. „Wenn das Rennen startet, muss man sie nicht berücksichtigen, und es wäre auch ein wenig respektlos gegenüber den Fahrern, die tatsächlich starten. Pogacar hat seine eigene Entscheidung getroffen, und das war keine Überraschung. Es war körperlich und mental einfach zu viel“,
sagte Renaat Schotte zu Sporza. Der Weltmeister beendete die Tour de France erschöpft, sowohl körperlich als auch mental, und sagte seine Rückkehr zur Vuelta ab.
„Er zog eine lange Linie von Strade Bianche bis zur Tour. Die Belastung war enorm. Es musste einen Punkt geben, an dem er einfach voll war. Ich kann mir vorstellen, dass er die Vuelta vor der Tour noch in Erwägung gezogen hat, aber während der Tour hat sich diese ganze Anhäufung bemerkbar gemacht.“ Letztlich gelang es Visma mit ihrer Taktik, während der Tour täglich in die Offensive zu gehen, ihren Hauptkonkurrenten für die Vuelta aus dem Rennen zu nehmen.
Nun startet Vingegaard zum ersten Mal seit der Tour 2023 eine Grand Tour als der Mann, den es zu schlagen gilt. „Aber ich denke, dieser Status wird überschätzt“, argumentiert Schotte. „Wir werden eine offenere Vuelta sehen, als derzeit erwartet wird. In welcher Form wird Vingegaard bei dieser Vuelta sein? Das ist ein Fragezeichen. Er hat sich auch von der Weltmeisterschaft zurückgezogen, was erneut zeigt, dass er nicht die Last einer vollen Saison auf seinen Schultern tragen möchte. Das zieht sich wie ein roter Faden durch seine Karriere.“
Aber die Kombination Tour–Vuelta ist für den Dänen keine Neuheit: Schon 2023 absolvierte er diese Doppelbelastung und belegte trotz eines kranken Starts den zweiten Platz – nur hinter seinem Teamkollegen Sepp Kuss, den er schützte.
„Ja, er kann diese Kombination definitiv bewältigen. Aber er hat dieses Rennen mehr oder weniger verschenkt, und das ist immer ein Risiko in der Karriere. Es ist logisch, dass wir den Fahrer mit den besten Referenzen in den Vordergrund stellen, aber sobald das Rennen beginnt, zählen nur die Beine.“ Mit Kuss, Matteo Jorgenson und mehreren weiteren starken Fahrern im Rücken ist der 29-Jährige nicht ohne Grund der klare Favorit auf den Sieg dieses Rennens.
Vingegaard ist der große Favorit auf das Rote Trikot
Doch auch die UAE bringen trotz Pogacars Abwesenheit große Waffen ins Rennen. „Sie haben ein starkes Duo mit João Almeida und Juan Ayuso. Ich setze dieses Trio mehr oder weniger auf eine Stufe. Man kann für jeden von ihnen Argumente anführen. Diese Wahrnehmung wurde von der wütenden Außenwelt erzeugt, aber wir wissen nicht, wie ihr Verhältnis wirklich ist. Basierend auf dem, was in den sozialen Medien passiert, greifen die Mainstream-Medien es auf, und oft entwickelt es dann ein Eigenleben.“
Die Dynamik zwischen Ayuso und Almeida – die zum ersten Mal seit der Tour 2024 gemeinsam antreten – wird in diesem Rennen ebenfalls eine sehr interessante Frage sein, vor allem, da beide sehr ähnliche Fahrertypen sind.
„Bei dieser Vuelta werden wir ihren wahren Wert entdecken, und ich denke, sie starten auf dem gleichen Niveau. Das Straßenprofil wird dann zeigen, wer der Beste ist. Als Team würde ich lieber in ihrer Position sein, denn wenn Vingegaard weniger erfolgreich ist, kann UAE davon profitieren. Bei einem Kletterfestival wie dieser Vuelta wird man niemals geschont.“
Schotte äußerte sich auch kritisch zur Vuelta-Strecke, die von manchen als übermäßig gebirgig und hügelig angesehen wird. Die Sprinter haben nur sechs Chancen, und davon bieten lediglich drei Etappen – Novara, Zaragoza und Madrid – tatsächlich ein flaches Finale oder eine grundsätzlich flache Strecke. „Die Vuelta-Organisatoren sollten mal in den Spiegel schauen, das ist ein bisschen zu viel.“
„Niemand will zehn Bergankünfte. Diese Vuelta ist ein perfektes Beispiel für den übermäßigen Fokus auf Kletterer. Das Pendel ist zu weit ausgeschlagen. Sprinter und Klassiker-Fahrer bekommen viel zu wenig Aufmerksamkeit. Die letzte Tour war eine schöne Ausnahme, und ich hoffe, dass sie diesen Weg fortsetzen, aber auf höchstem Niveau müssen die Grand Tours auch die UCI konsultieren.“
Nach einer Tour-Strecke, die den schnellen Männern, aber vor allem den Klassikerspezialisten zahlreiche Chancen bot, hat die Vuelta nun große Erwartungen, ebenso viel Spektakel zu liefern.
„Ich denke, Sprinter sollten in mindestens einer Grand Tour pro Jahr ihren gerechten Anteil bekommen. Wir kommen zwar aus einer Ära mit einer übermäßigen Zahl an Sprintgelegenheiten, aber jetzt werden sie sozusagen zu einer bedrohten Spezies. Wir reden immer über die zu langen und langweiligen TV-Übertragungen, aber dafür lassen sich Lösungen finden.“
„Der Beruf des Sprinters darf nicht verschwinden. Sie gehören zum ABC des Radsports. Und ich denke, auch Klassikerfahrer wie Mathieu van der Poel oder Wout van Aert sollten alle drei Jahre eine Grand Tour erhalten, bei der sie eine Chance auf den Sieg haben.“