„Del Toro der Auserwählte – und Ayuso die Ratte?“ Belgischer Kolumnist analysiert Instagram-Signale

Radsport
Freitag, 23 Mai 2025 um 12:30
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Zu Beginn der 13. Etappe des Giro d’Italia richtet sich der Blick nicht nur auf den möglichen Etappensieger – sondern auch auf das UAE Team Emirates - XRG, das sich mit einem immer heikleren internen Dilemma konfrontiert sieht. Das derzeit stärkste Team im Rennen bewegt sich in einer komfortablen, aber zunehmend angespannten Ausgangslage.
Ursprünglich war Juan Ayuso als klarer Kapitän im Kampf um das Rosa Trikot vorgesehen. Doch vor dem Start in die heutige Etappe trägt ausgerechnet Isaac del Toro das Maglia Rosa – und das mit nur etwas mehr als 30 Sekunden Vorsprung auf Ayuso. Auf dem Papier ein geringer Abstand, in der Praxis ein strategischer Drahtseilakt.
Del Toro präsentiert sich bislang abgeklärt, stark und angriffslustig. Besonders auf der Schotteretappe nach Siena nutzte er seine Chance – genau an dem Tag, an dem Ayuso stürzte und am Knie genäht werden musste. Del Toro behauptete später, er habe das weiße Trikot von Egan Bernal mit dem von Ayuso verwechselt. Doch das Bild, das von außen entstand, wirft Fragen auf – bei Fans wie bei Experten. Die Ausgangslage ist explosiv: Zwei der stärksten Fahrer des Rennens in derselben Mannschaft – getrennt nur durch Sekunden, vereint durch Teamtaktik, aber potenziell auf Kollisionskurs.
In seiner aktuellen Wielerflits-Kolumne bringt der belgische Journalist Hugo Coorevits die Spannung rund um das UAE-Duo auf den Punkt: „Die Schlacht findet diesmal ohne [Tadej] Pogacar statt... und doch war es ein Instagram-Post ebenjenes Pogacar, der meine Aufmerksamkeit fesselte.“ Gemeint ist ein Bild, das Pogacar zeigt, wie er an einem Kaffee nippt – der Blick auf Isaac Del Toro gerichtet. Die Bildunterschrift: „Mit Blick auf die Zukunft, genieße die rosarote Reise.“
Für Coorevits war die Botschaft eindeutig: ein öffentliches Zeichen der Unterstützung für Del Toro. Auffällig: Juan Ayuso kam in diesem Moment symbolisch nicht vor. Doch es bleibt nicht bei subtilen Instagram-Posts. Wie Coorevits anmerkt, gießt auch der anonyme Social-Media-Account „mou“ weiter Öl ins Feuer. Der bekennende Pogacar-Fan stilisiert Del Toro zum Auserwählten – und diffamiert Ayuso regelmäßig mit Begriffen wie „die Ratte“. Eine toxische Darstellung, die mit der Realität wenig zu tun hat.
Coorevits selbst begegnete Ayuso bei der Vuelta 2023. Sein Eindruck war ein völlig anderer: „Ein ruhiger, einfacher und wohlerzogener Zwanzigjähriger – alles andere als arrogant.“ Der Kontrast zur digitalen Zuspitzung könnte kaum größer sein.
Wenn Pogacar anwesend wäre, gäbe es keine Führungsfragen
Wenn Pogacar anwesend wäre, gäbe es keine Führungsfragen
Das eigentliche Problem liegt womöglich weniger in persönlichen Reibereien, sondern in der institutionellen Struktur des Teams. Juan Ayuso, 22 Jahre alt, verlängerte seinen Vertrag mit UAE bis 2028 – ohne Agenten, im Vertrauen auf seinen Vater. Was zunächst wie eine mutige Entscheidung wirkte, entpuppt sich nun als goldener Käfig. „Er hat sich für lange Zeit an ein Umfeld gebunden, das sich für ihn zunehmend unangenehm anfühlt“, schreibt Hugo Coorevits.
Die Parallelen zur Vuelta a España 2023 drängen sich auf: Damals dominierte Jumbo-Visma mit Sepp Kuss, Jonas Vingegaard und Primož Roglič das Klassement – doch die Frage nach dem internen Kapitän sorgte für Spannungen. Das Team stellte sich hinter Kuss, aber nicht ohne Nebengeräusche. Roglič zog Konsequenzen und wechselte den Rennstall.
Ein ähnliches Szenario droht nun UAE. Neben Ayuso und dem aktuell führenden Isaac Del Toro befinden sich auch Brandon McNulty und Adam Yates unter den Top Neun der Gesamtwertung. Es ist ein Luxusproblem – aber auch ein logistisches Minenfeld.
Ayuso galt lange als designierter Nachfolger von Tadej Pogacar im Grand-Tour-Projekt der Emirate. Jetzt steht er im Schatten von Del Toro. Und das trotz mehrerer Rückschläge: zwei Stürze, ein aufgeschlagenes Knie, drei Stiche. Dennoch kämpft Ayuso weiter. Aufgeben? Keine Option. Sich kampflos in die Helferrolle fügen? Undenkbar.
Del Toro wiederum wirkt nicht wie ein Fahrer, der sich in den Dienst eines älteren Teamkollegen stellt. Sein ruhiges Auftreten täuscht: In entscheidenden Momenten zeigt er instinktive Aggressivität. Er wirkt bereit, um das Podium in Rom zu kämpfen – und um die interne Führungsrolle gleich mit.
Sportdirektor Joxean Fernández Matxin kennt beide Fahrer gut. Er zögert. „Er ist gleichzeitig heiß und kalt“, zitiert ihn Coorevits – und hofft, dass die schweren Bergetappen der kommenden Woche eine natürliche Entscheidung erzwingen. Denn wenn Ayuso und Del Toro weiter auf Augenhöhe bleiben, wird sich Matxin nicht ewig heraushalten können.
Del Toros Form spricht für einen möglichen Rosa-Ritt bis nach Rom. Doch Ayuso ist nicht abgeschrieben. Die wahre Entscheidung fällt nicht im Teambus – sondern in den Bergen.
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