Während sich das Peloton dem Start der
Vuelta a Espana 2025 nähert, richten sich die Blicke auf jene Fahrer, die ihre zweite Grand Tour des Jahres bestreiten. Oft drehen sich die Diskussionen um Wattwerte, Regeneration und Gewichtskontrolle – doch Michele Bartoli betont, dass der entscheidende Kampf ein psychologischer ist.
„Zwei Grand Tours in einem Jahr zu fahren? Da macht zuerst der Verstand schlapp“, erklärt die italienische Radsport-Ikone im Gespräch mit Bici.Pro. Mit seiner Erfahrung aus über zehn Jahren im Peloton und als Berater hinter den Kulissen stellt Bartoli klar: Formkurven und Tapering-Pläne erklären nicht alles.
Tour-Vuelta vs. Giro-Vuelta: Kleine Unterschiede, große Wirkung
Lange galt die Kombination Giro-Vuelta als realistisch – vor allem wegen des größeren Erholungsfensters. Doch Bartoli warnt: Die Tour-Vuelta-Doppelbelastung ist weit weniger verzeihlich. „Wenn ein Fahrer mehr als zehn Tage braucht, um sich zu erholen, hat man schon ein Problem. Alles wird zu einem Wettlauf gegen die Zeit – physisch, logistisch und mental.“
Deshalb sei es in manchen Fällen klüger, die Tour frühzeitig zu verlassen, wenn die Form nicht stimmt. „Eine Grand Tour zu beenden, ist nicht immer sinnvoll. Manchmal ist es besser, die Reißleine zu ziehen und die Vuelta als echtes Ziel vorzubereiten.“
Warum der Kopf schneller nachgibt als die Beine
Bartoli, fünfmaliger Monument-Sieger, widerspricht der gängigen Ansicht, dass die körperliche Erschöpfung die größte Hürde sei. Dank moderner Ernährung, präziser Trainingssteuerung und ausgereifter Regenerationsprotokolle könnten sich viele Profis in wenigen Wochen erholen.
Die eigentliche Gefahr sieht er im mentalen Bereich: „Man kann in Topform sein – aber wenn der Kopf nicht mitspielt, kommt die Leistung nicht. Deshalb setze ich bei einem Double auf erfahrene Fahrer. Sie erkennen Signale, wenn sie an die Grenze geraten, und können ehrliches Feedback geben.“
Grand Tours als Fundament für junge Fahrer
Bartoli hält Grand Tours auch für junge Talente für unverzichtbar. „Wer eine dreiwöchige Rundfahrt verpasst, verliert mehr, als er denkt. Es geht nicht nur um Erfahrung – die Physiologie verändert sich auf eine Art, die kein Trainingsblock reproduzieren kann.“
Gleichzeitig betont er die Rolle moderner Technologien: „Dank Monitoring, Ernährungsplanung und Regenerationshilfen können selbst junge Fahrer zwei Grand Tours im Jahr absolvieren – solange sie innerlich motiviert sind. Fehlt dieser Antrieb, wird die Belastung schnell zu groß.“
Ein zusätzlicher Vorteil: Wer die Saison bei der Vuelta beendet, startet die Winterpause aus einer besseren Verfassung heraus. „Man kommt mit Rhythmus, Kondition und einer stärkeren Basis ins nächste Jahr.“
Fazit: Die zweite Grand Tour als mentaler Stresstest
Je näher die Vuelta rückt, desto mehr werden die Debatten von Wattwerten und Leistungsdiagrammen bestimmt. Doch Bartolis Worte erinnern daran, dass am Ende der Kopf entscheidend ist. „Zwischen den Grand Tours ändert sich das Training nicht viel. Gewicht und Leistungswerte bleiben oft gleich. Aber die zweite Grand Tour fahren? Da muss der Kopf dich tragen. Versagt er, ist alles vorbei – auch wenn die Beine noch können.“