Guillaume Di Grazia, eine der bekanntesten Stimmen des europäischen Radsports, ist im Alter von 52 Jahren nach einem tragischen Unfall bei einem traditionellen Stiertreiben in Südfrankreich verstorben. Der langjährige Eurosport-Kommentator erlag zwei Tage nach dem Vorfall seinen schweren Verletzungen, die er bei einem sogenannten Abrivado erlitten hatte – einem traditionellen Ritual in der Camargue, bei dem Stiere von berittenen Reitern durch die Straßen eines Dorfes getrieben werden.
Der Unfall ereignete sich am Sonntag, dem 6. Oktober, im südfranzösischen Langlade, nur einen Tag nach Di Grazias 52. Geburtstag. Seine Familie bestätigte den Tod des Journalisten am Mittwoch gegenüber der Agence France-Presse (AFP).
Es war bereits der zweite tödliche Zwischenfall im Zusammenhang mit einem Abrivado innerhalb von etwas mehr als einem Monat. Anfang September war ein Mann im selben Alter ums Leben gekommen, nachdem er bei einer ähnlichen Veranstaltung von einem Stier, einem Pferd und einem Fahrzeug erfasst worden war.
Die Stimme des Radfahrens für eine Generation
Für viele französische Radsportfans – insbesondere für jene, die mit den Eurosport-Übertragungen der
Tour de France aufgewachsen sind – war Guillaume Di Grazia weit mehr als nur ein Kommentator. Mit seiner Energie, seinem Humor und seinem tiefen Verständnis für den Sport prägte er über zwei Jahrzehnte lang die Art und Weise, wie Millionen Menschen Radsport im Fernsehen erlebten.
Als Di Grazia im Jahr 2000 während der Olympischen Spiele in Sydney zu Eurosport stieß, fand er schnell seine Stimme vor dem Mikrofon. Er berichtete über ein breites Spektrum an Disziplinen – von der Nordischen Kombination bis zum Biathlon –, doch seine wahre Leidenschaft galt stets dem Radsport, seiner „natürlichen Heimat“, wie er selbst oft sagte.
Seine enthusiastischen Kommentare, seine eloquente Ausdrucksweise und sein ausgeprägtes Erzählgefühl machten ihn zu einer festen Größe in der französischen Sportlandschaft. Bei den Bergetappen der Tour de France war er ebenso präsent wie die fahnenschwenkenden Fans am Straßenrand – und für viele Zuschauer war seine Stimme zu einem festen Bestandteil des französischen Sommers geworden.
In einer Würdigung, die von TNT Sports – dem heutigen Nachfolger von Eurosport in Großbritannien – veröffentlicht wurde, erinnerte sich seine langjährige Kollegin und frühere Redaktionsleiterin Géraldine Pons:
„Guillaume hatte einen außergewöhnlichen Instinkt. Er erkannte Entwicklungen und Trends lange, bevor andere sie bemerkten. Dieser kreative Geist, verbunden mit großer Professionalität, machte ihn zu einem außergewöhnlichen Journalisten.“
Pons würdigte auch seinen Beitrag zur Neugestaltung der Radsportberichterstattung. Di Grazia habe die Analyse in eine unterhaltsame, lebendige Form verwandelt, insbesondere durch seine Arbeit bei Les Rois de la Pédale – einer Sendung, die aus einer einfachen Nachbesprechung ein Kultformat machte, das von unzähligen Fans verfolgt wurde.
„Sein Enthusiasmus, sein Stil und seine Leidenschaft hinter dem Mikrofon haben bei den Radsportfans einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, schrieb Pons. „Manchmal war er so beliebt wie die Fahrer selbst auf den Straßen der Tour.“
Ein komplizierter Aufbruch
Anfang dieses Jahres hatte sich Guillaume Di Grazia nach internen Vorwürfen über „unangemessenes Verhalten“ gegenüber einer Visagistin von Eurosport getrennt. Damit verpasste er zum ersten Mal seit 25 Jahren die Tour de France – eine auffällige Abwesenheit, die ein unerwartetes und schwieriges Ende seiner langen Karriere bei dem Sender markierte.
Trotz der Umstände seines Ausscheidens würdigte Eurosport ihn nun für seinen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Radsportberichterstattung. Di Grazia habe „über Jahrzehnte hinweg die Leidenschaft und Energie verkörpert, die den Radsport ausmachen“, hieß es in einer Erklärung des Senders.
Von seinen Kollegen liebevoll „Guigui“ genannt, war Di Grazia auch abseits des Mikrofons ein charismatischer und leidenschaftlicher Mensch. Er war bekannt für seine tiefe Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Montpellier und seinem Lieblingsverein, dem MHSC, über den er ebenso leidenschaftlich diskutierte wie über die Etappen der Tour.
Vor allem aber galt seine Hingabe seiner Familie. Géraldine Pons schloss ihre Würdigung mit bewegenden Worten:
„Guillaume liebte den Sport und seinen Beruf. Er liebte das Leben und seine Freunde – und vor allem seine Tochter Marine und ihre Mutter, die für ihn das Wichtigste waren.“
Erinnerung an einen Geschichtenerzähler des Radsports
Der plötzliche und tragische Tod von Guillaume Di Grazia hinterlässt eine tiefe Lücke in der Welt des Radsportjournalismus. Mehr als zwei Jahrzehnte lang half er den Fans, den Sport nicht nur über Zahlen und Ergebnisse zu verstehen, sondern durch Geschichten, Emotionen und Menschlichkeit zu erleben.
In einer Medienwelt, die sich ständig verändert, war seine Stimme eine seltene Konstante – ein vertrauter Klang, der eine ganze Ära der französischen Radsportberichterstattung geprägt hat.
Man wird ihn nicht nur für sein profundes Wissen vermissen, das er in jedes Rennen einbrachte, sondern auch für die Freude, Leidenschaft und Nähe, mit der er den Radsport lebendig machte. Guillaume Di Grazia war mehr als ein Kommentator – er war eine Stimme, die den Sommern der Tour de France Seele verlieh.