Im Alter von 31 Jahren hat
Ryan Gibbons seine Karriere im Profiradsport beendet. Die Entscheidung des Südafrikaners kam für viele in der Szene überraschend. Nur kurz nach seinem Geburtstag im August verkündete Gibbons seinen Rücktritt – nicht aus Mangel an Verträgen oder körperlicher Erschöpfung, sondern aus persönlicher Überzeugung. Nach mehr als zehn Jahren in Europa überwogen die logistischen, kulturellen und familiären Herausforderungen, die ihn zunehmend beschäftigten.
Seinen letzten Wettkampf bestritt Gibbons bei der Tour of Guangxi in China. Dort verabschiedete sich der Fahrer des Teams
Lidl-Trek mit einem Lächeln – er wurde zum kämpferischsten Fahrer der Etappe gekürt, nachdem er von seiner üblichen Rolle als Ausreißer entbunden worden war. Ein symbolisches Ende für einen Rennfahrer, der für seine Leidenschaft und seinen Einsatz bekannt war. „Ich werde alles stehen und liegen lassen und jeden Pedaltritt genießen“, sagte Gibbons vor seinem letzten Rennen gegenüber
Domestique.
Ein Abschied aus Überzeugung
Während seiner gesamten Profizeit lebte Gibbons in Girona, Spanien – ein Ort, der für viele internationale Fahrer zur Basis geworden ist. Doch mit der Geburt seines Sohnes Ende 2024 änderte sich seine Perspektive grundlegend. „Meine Frau und ich bekamen ein Baby, und das hat alles verändert. Wir hatten zu kämpfen, und ich beschloss, dass ich meine Familie an erste Stelle setzen musste. Die Abwesenheit von Familie und Freunden forderte ihren Tribut von uns“, erklärte er offen.
Leben und Arbeiten als Außenseiter in einer zutiefst europäischen Sportwelt brachte tägliche Entbehrungen mit sich. Ohne lokales Unterstützungsnetz häuften sich die kleinen Schwierigkeiten – von der Visabürokratie über administrative Hürden bis zum Gefühl, jede Saison neu anfangen zu müssen.
Radfahren als wirtschaftliches Risiko für Außenseiter
Trotz seiner Erfolge mit Teams wie Dimension Data, UAE Team Emirates und Lidl-Trek blieb Gibbons vertraglich ein Freiberufler. Wie viele Fahrer der WorldTour arbeitete er ohne langfristige Sicherheit und ohne die sozialen Vorteile, die Spitzensportler anderer Disziplinen genießen. „Ich bin seit zehn Jahren in Europa, und jedes Jahr war es ein administrativer Kampf. Um an Rennen wie Kanada oder der Tour of Britain teilzunehmen, brauchte ich Monate im Voraus Papiere und musste bei den Botschaften meinen Wohnsitz nachweisen. Für junge Afrikaner, die gerade erst anfangen, ist das fast unmöglich“, sagte Gibbons.
Seine Worte machen ein strukturelles Problem sichtbar: den schwierigen Zugang für außereuropäische Fahrer, insbesondere für afrikanische Talente. Mit dem Rücktritt Gibbons’ und seines Landsmannes Louis Meintjes verbleibt auf der WorldTour nur noch ein Südafrikaner – Alan Hatherly vom Team Jayco-AlUla.
Ryan Gibbons ist zweimaliger südafrikanischer Straßen- und Zeitfahrmeister.
Zwischen Talent und Realität
Gibbons war Teil des südafrikanischen Projekts MTN-Qhubeka und feierte 2017 sein Profidebüt bei Dimension Data. Sein Sieg bei der Tour de Langkawi im selben Jahr ließ eine glänzende Karriere erwarten. Zehn Siege, darunter zwei kontinentale Goldmedaillen 2021, markieren seine Laufbahn. Trotzdem sieht er selbst übersehene Chancen: „Meine Zahlen waren gut, und meine Trainer sagten, ich hätte mehr Potenzial als ich zeigte. Aber Motivation ist schwer, wenn man jahrelang fern von Zuhause lebt. Trotzdem habe ich jede Sekunde davon genossen – ich bereue nichts.“
Auch seine Anfänge in einem Team mit ausschließlich südafrikanischen Fahrern reflektiert er selbstkritisch. Damals fühlte er sich kulturell besser verstanden, erkannte aber, dass die begrenzte internationale Erfahrung seine Entwicklung bremste. Jugendsünden und Unreife, wie er es nennt, seien Teil seiner Lernkurve gewesen.
Ein neuer Lebensabschnitt
Nach fast einem Jahrzehnt in Europa kehrt Ryan Gibbons nun mit seiner Familie nach Südafrika zurück. Eine Entscheidung voller Ruhe und Dankbarkeit. „Ich freue mich wahrscheinlich darauf, im Dezember wieder etwas zu tun. Es wäre dumm, meine Erfahrungen im Radsport nicht zu nutzen. Vielleicht liegt meine Zukunft in diesem Sport – vielleicht auch nicht. Im Moment möchte ich einfach nur die Ruhe genießen.“
Mit seinem Abschied hinterlässt Gibbons mehr als sportliche Leistungen. Er steht für die Realität vieler Fahrer aus Afrika, die trotz Talent oft gegen unsichtbare Barrieren kämpfen – und für die Erkenntnis, dass Familie und innere Balance manchmal über jede Ziellinie hinausgehen.