Der Kampf um das Gelbe Trikot hat bei der
Tour de France längst begonnen – und das, obwohl die Alpen noch in weiter Ferne liegen. Zwischen dem UAE Team Emirates und
Visma - Lease a Bike tobt bereits ein intensives Taktikduell, bei dem jede Sekunde zählt – und jede Bewegung im Feld doppelt gewertet wird.
Besonders auf der 6. Etappe sorgte die aggressive Fahrweise von Visma für Diskussionen. Im Podcast The Move spekulierte Ex-Teamchef
Johan Bruyneel offen über mögliche taktische Absichten: „UAE und Pogacar wollten natürlich, dass Mathieu das Gelbe Trikot übernimmt.“ Er deutete an, dass das niederländische Team bewusst das Tempo erhöhte, um genau das zu verhindern – und Pogacar in Gelb zu halten.
"Visma hat das Tempo erhöht, um Pogacar in Gelb zu halten"
Was im Live-TV größtenteils verborgen blieb, spielt sich nun umso deutlicher in den Nachbetrachtungen ab. „Wir haben nicht viel vom Peloton gesehen, aber ich denke, Visma hat das Tempo erhöht, um Pogacar in Gelb zu halten. Das ist eine Strategie, aber ich weiß es nicht... Es ändert sich auch nicht viel – vor allem nicht bei Tadej“, meint Bruyneel.
Dass sich
Mathieu van der Poel der Ausreißergruppe anschloss, eröffnete eine Gelegenheit: Ein Fahrer, der keine Gefahr für die Gesamtwertung darstellt, hätte Pogacar die Chance gegeben, das Trikot abzugeben – und sich so mehr Regenerationszeit zu sichern. „Wir wissen, dass Pogacar und van der Poel gut miteinander auskommen. Ich weiß nicht, ob sie Freunde sind, aber sie mögen sich. Ich persönlich glaube, dass es eine Art Absprache zwischen ihnen gab.“
Bruyneel bewertet diese Option als durchaus sinnvoll aus Sicht des Slowenen: „Es wäre für Pogacar ideal, das Trikot abzugeben. Die Etappen am Donnerstag und Freitag sind schwer zu kontrollieren. Van der Poel war der ideale Kandidat. Der Vorsprung von einer Sekunde ändert zwar nichts, aber es wäre ideal, das Trikot an ein anderes Team abzugeben, das dann die Kontrolle übernimmt.“
Doch Visma hatte offensichtlich andere Pläne – und versuchte, Pogacars Weg zu durchkreuzen. Ein Schlüsselmoment war dabei die Attacke von Matteo Jorgenson. „Es war klar, dass Visma damit nicht einverstanden war. Meiner Meinung nach wollte Jorgenson gar nicht wirklich wegkommen, sondern verhindern, dass van der Poel in die Ausreißergruppe geht. Er wusste genau, dass man ihn nicht würde ziehen lassen.“
Auch Pogacars Ratlosigkeit nach der Etappe spricht laut Bruyneel für eine gezielte Strategie des niederländischen Teams: „Ist es Teil eines Plans? Wer weiß. Es könnte sein: Wir wollen ihn wütend machen, damit er zeigen will, dass er der Beste ist – und dadurch Fehler macht. Wenn er sagt: ‚Ich weiß nicht, was sie vorhatten‘... das sagt mir, dass es zu 100 Prozent eine Absprache zwischen van der Poel und Pogacar gab.“
Fest steht: Noch bevor die Berge beginnen, ist der Kampf um Gelb längst politisch, taktisch und psychologisch – und keineswegs auf die letzten Anstiege beschränkt.