Remco Evenepoel hat einmal mehr bewiesen, warum er als einer der größten Zeitfahrer seiner Generation gilt. Bei der
Europameisterschaft 2025 im Einzelzeitfahren fuhr der Belgier zu einem scheinbar mühelosen Sieg – doch hinter dem glänzenden Auftritt steckte eine Vorbereitung, die alles andere als ideal verlief. Nationaltrainer Serge Pauwels gewährte nach dem Rennen spannende Einblicke in die Tage vor dem Titelgewinn.
Nur wenige Tage zuvor hatte Evenepoel noch das WM-Straßenrennen in Kigali bestritten – ein brutaler sechsstündiger Kampf unter afrikanischer Sonne. Kaum zurück in Europa, kämpfte er sich durch lange Flüge und Reisestrapazen. Dennoch gelang es dem 25-Jährigen, all diese Hindernisse auszublenden und den italienischen Topfavoriten Filippo Ganna klar hinter sich zu lassen. Mit dem europäischen Gold im Zeitfahren komplettierte er sein historisches Quartett: Welt-, Olympia-, Landes- und Europameister – alle Titel gleichzeitig in seinen Händen.
Von Kigali nach Marseille – ein riskanter Plan
„Er musste erst aus Afrika zurückkommen“, erklärte Pauwels im
Gespräch mit Cycling Pro Net. „Er flog Montagabend, landete Dienstagmorgen in Marseille und verbrachte den Rest des Tages im Hotel. Genau das war entscheidend: Die letzten 24 Stunden vor einem Zeitfahren braucht er seine Ruhe und seine Blase.“
Ein solches Programm würde kaum jemand freiwillig wählen: ein Sechs-Stunden-Rennen in Ruanda, direkt gefolgt von einem Transkontinentalflug – und dann der Start bei der Europameisterschaft. Doch für Evenepoel wurde diese unorthodoxe Vorbereitung zum Vorteil. „Normalerweise würde man so etwas nie planen“, so Pauwels. „Aber er hat an diesem Sonntag extrem tief in die Reserven gegriffen. Das hat den Schwung aufrechterhalten. Heute sah er unglaublich geschmeidig aus. Nicht besser als bei der WM vielleicht – aber definitiv nicht schlechter.“
Überwältigende Dominanz auf 24,4 Kilometern
Diese „Geschmeidigkeit“ verwandelte Evenepoel in pure Dominanz. Schon am ersten Zeitmesspunkt lag er 14 Sekunden vor Ganna, am Ende hatte er die 24,4 Kilometer in 28:26 Minuten absolviert – satte 43 Sekunden schneller als der Italiener. Eine Demonstration der Stärke, die erneut unterstrich, wie weit Evenepoel in dieser Disziplin der Konkurrenz voraus ist.
Mit diesem Triumph hält der Belgier nun ein seltenes Kunststück in den Händen: Er vereint gleichzeitig die Titel des Welt-, Olympia-, Landes- und Europameisters im Zeitfahren. Ein Erfolg, den selbst Legenden des Radsports nur selten erreichen.
Blick nach vorn: Das Straßenrennen am Sonntag
Doch der Erfolg im Zeitfahren ist für Evenepoel nur Zwischenstation. Sein Trainer blickt bereits voraus: „Remco wusste, dass er in diesen zwei Wochen vier große Ziele hat. Zwei davon hat er schon erreicht, dazu kommt Silber. Das ist unglaublich. Aber am Sonntag wartet das Straßenrennen – und das wird ein ganz anderes Kaliber.“
Dort trifft Evenepoel auf ein hochkarätiges Feld, das ihm nichts schenken wird. Die Herausforderung: Nach den Strapazen von Kigali und dem Zeitfahr-Gold auch im Straßenrennen noch einmal absolute Weltklasse zu zeigen.
Die Geschichte eines Ausnahmesportlers
Unabhängig vom Ausgang des kommenden Rennens ist Evenepoels Leistung schon jetzt eine Geschichte von Talent und eiserner Widerstandskraft. Von der Hitze Afrikas bis zu den kühlen Winden Südfrankreichs bewies er, dass er mehr kann als nur Kraft auf die Pedale bringen: Er kann sich erholen, anpassen und in entscheidenden Momenten über sich hinauswachsen.
Oder, wie es Serge Pauwels nach dem Rennen zusammenfasste: „Er kam direkt aus Afrika – und flog ins Gold.“