DISKUSSION Tour de France Etappe 12 | Hat Pogacar die Tour bereits entschieden? Wird Lipowitz zur Gefahr für Vingegaard und Remco?

Radsport
Donnerstag, 17 Juli 2025 um 21:30
Pogacar
Etappe 12 der Tour de France wird als eine der denkwürdigsten Etappen der letzten Jahre in die Geschichte eingehen. Nach einer ersten Woche mit nur flachen und hügeligen Abschnitten kamen endlich die hohen Berge ins Spiel – der Auftakt des Pyrenäen-Triptychons.
Ben Healy ging als Gesamtführender ins Rennen und stand vor der schwierigen Aufgabe, das Gelbe Trikot gegen Fahrer wie Pogacar, Vingegaard & Co. zu verteidigen. Für Tadej Pogacar hatte diese Etappe eine ganz besondere Bedeutung: Der Hautacam war jener Berg, an dem er 2022 von Vingegaard distanziert wurde – damals die Vorentscheidung im Kampf um den Toursieg. Nach dem unglücklichen Sturz auf der 11. Etappe wollte Pogacar Wiedergutmachung – und der Welt zeigen, dass er in Topform ist.
Team Visma | Lease a Bike hatte in den Tagen zuvor unermüdlich versucht, Pogacar durch Angriffe unter Druck zu setzen. Alles war darauf ausgelegt, Vingegaard ins Gelbe Trikot zu bringen – es sollte ein epischer Schlagabtausch werden.
Die Etappe begann mit hohem Tempo, und eine riesige Spitzengruppe mit bis zu 52 Fahrern konnte sich früh absetzen – ein halbes Peloton kämpfte um den Tagessieg. Doch im Hauptfeld wurde nichts dem Zufall überlassen. UAE und Uno-X kontrollierten das Rennen entschlossen, der Vorsprung der Ausreißer wuchs nie auf über drei Minuten. Am Col des Bordères blieben nur noch drei Fahrer vorne: Armirail, Skjelmose und Michael Woods.
Am Schlussanstieg nach Hautacam setzte Pogacar dann zur alles entscheidenden Attacke an, fuhr solo davon und gewann die Etappe – mehr als zwei Minuten vor Vingegaard. Florian Lipowitz komplettierte das Podium. Fahrer wie Evenepoel oder Roglic verloren teils deutlich, wobei sich der Belgier nach einem frühen Einbruch über 50 Kilometer vor dem Ziel eindrucksvoll zurückkämpfte.
Nach dieser Machtdemonstration von Pogacar stellt sich die Frage: Ist die Tour de France bereits entschieden? Oder wird ein Fahrer wie Lipowitz noch zur Gefahr für das Podium von Vingegaard und Evenepoel? Wir haben einige unserer Redakteure gebeten, ihre Einschätzung zu diesem spektakulären Renntag abzugeben.
TadejPogacar (2)

Ivan Silva (CiclismoAtual)

Nun, das war wirklich eine absolute Wahnsinnsetappe. Ein Spektakel von Anfang bis Ende – ohne Pause.
Ich war ehrlich überrascht, so früh eine so große Ausreißergruppe zu sehen, und die Rennsituation wurde richtig gefährlich, weil einige große Namen dabei waren – und mit ihnen jede Menge Teamkollegen zur Unterstützung.
Mein erster Gedanke war: Das wird richtig schwer für UAE. Ich dachte schon, Nils Politt müsste bald alleine einer 50-köpfigen Gruppe hinterherjagen, und der Abstand würde unkontrollierbar wachsen. Aber so kam es ja nicht, oder? Visma, EF und Uno-X sorgten im Flachen für Tempo und hielten die Gruppe in Schach.
Und mit nur einem kleinen Vorsprung vor dem Col du Soulor war für mich klar: Peloton gewinnt! Doch die Umsetzung war nochmal ein ganz anderes Spektakel. Visma erhöhte das Tempo am Soulor, und das ganze Feld begann zu reißen – inklusive Remco Evenepoel, bei dem wir alle dachten, er würde am Ende massiv Zeit verlieren (was er im Vergleich zu Pogacar auch tat, aber nicht unbedingt gegenüber den anderen Favoriten).
Nur: Visma zerschlug nicht nur das Feld, sondern auch sich selbst. Als Jorgenson abreißen ließ, mussten sie das Tempo rausnehmen. Vorne beeindruckte dann besonders Armirail auf der Abfahrt – den hatte ich am Soulor gar nicht vorne gesehen, und plötzlich fliegt er allen davon, als wäre es nichts.
Dann kam Hautacam – und damit auch die Dauphiné-Flashbacks. Narvaez zog das Tempo an, Pogacar startete sofort seine Attacke. Ab da war es ein Einzelzeitfahren bis ins Ziel. Pogacar wirkt, als spiele er in einer ganz anderen Liga – er distanziert alle mit einer Leichtigkeit, die fast schon beängstigend ist.
Das ganze Feld zerfiel – jeder kam völlig verausgabt einzeln ins Ziel. Ich glaube, die Berge haben heute gezeigt, wo jeder steht. Und es ist klar: Pogacar ist die dominierende Kraft dieser Tour. Nicht mal der Sturz von gestern hatte irgendeinen Einfluss – unser Weltmeister wirkt absolut unschlagbar.
So wie ich das sehe: Die Gesamtwertung ist entschieden.

Pascal Michiels (RadSportAktuell)

Den 17. Juli 2025 können wir uns schon jetzt als den Tag markieren, an dem die Tour de France entschieden wurde. Das Phänomen Tadej Pogačar zündete am Hautacam eine Attacke der Superlative und quälte sich über 11 Kilometer lang bis ans absolute Limit. Am Ende hatte er Jonas Vingegaard über zwei Minuten abgenommen – in nur einer halben Stunde Kletterzeit.
Vingegaard versuchte zu reagieren, doch Jorgenson war zu diesem Zeitpunkt längst abgehängt. Auch der Däne fuhr bis zum Letzten, doch das Leiden war ihm anzusehen. Nur im ersten Kilometer nach Pogacars Angriff konnte er den Schaden begrenzen – danach war es ein Solo ohne Gegenspieler.
Auch Remco Evenepoel kämpfte heute auf verlorenem Posten. Bereits am Col du Soulor musste er abreißen lassen und lag über eine Minute zurück. Doch er schaffte beinahe ein kleines Wunder: Er fuhr wieder zur Favoritengruppe vor dem Hautacam-Anstieg. Dort aber musste er rasch wieder reißen lassen – dennoch rettete er sich mit Vauquelin ins Ziel, knapp vier Minuten hinter Pogačar.
Doch aus deutscher – und auch schottischer – Sicht wird dieser 17. Juli aus einem ganz anderen Grund in Erinnerung bleiben: Es war der Tag, an dem ein junger Fahrer ins Rampenlicht trat und die Weltelite herausforderte. Sein Name? Florian Lipowitz. Gemeinsam mit dem schottischen Talent Oscar Onley führte Lipowitz die Verfolgergruppe hinter Pogačar und Vingegaard an – die beiden hatten sich längst abgesetzt.
florianlipowitz
Nach und nach fielen die anderen Fahrer von ihren Hinterrädern ab. Roglič hielt sich ein paar Kilometer – fuhr Lipowitz vielleicht sogar für ihn? – ebenso Tobias Halland Johannessen. Doch auch sie mussten schließlich abreißen lassen. Lipowitz, früher im Biathlon aktiv, setzte hinter Vingegaard zur Attacke an – Onley reagierte sofort.
Roglič und Johannessen konnten nicht folgen. Doch Lipowitz' zweiter Angriff saß. Angetrieben vom tosenden Jubel der Fans kämpfte er sich Meter für Meter näher an Vingegaard heran – der Deutsche war zu dem Zeitpunkt über eine Minute zurückgelegen, als er noch bei Roglič fuhr.
Am Ende überquerte Lipowitz die Ziellinie als Dritter, nur etwa 100 Meter hinter Vingegaard. In der Gesamtwertung springt er auf Platz 4, weniger als eine Minute hinter Remco Evenepoel.
Fazit: Heute, an den Hängen des Hautacam, ist ein deutsches Radsport-Phänomen geboren. Sein Name? Du weißt es längst. Wenn Lipowitz seine Form morgen im Bergzeitfahren bestätigt, haben deutsche Fans allen Grund, mit Herzklopfen bis nach Paris zu schauen. Die Zukunft ist hell – sehr hell.

Félix Serna (CyclingUpToDate)

Die Frage war nie ob, sondern wann – wann diese Tour de France entschieden sein würde. Und nach dem, was wir heute auf der 12. Etappe gesehen haben, fällt es schwer, noch ernsthaft daran zu zweifeln: Das Rennen ist (fast) gelaufen.
Tadej Pogačar hat nicht einfach nur gewonnen – er hat dominiert. Sein Angriff war perfekt getimt, seine Beine wirkten unaufhaltsam, und die Antwort seiner Rivalen? Fehlanzeige. Jonas Vingegaard, der in den letzten Etappen als Einziger mit Pogačar mithalten konnte, war heute chancenlos.
Wenn nichts völlig Unerwartetes geschieht, scheint der Kampf um das Gelbe Trikot schon vorbei. Der Slowene fährt in einer eigenen Liga, und wenn er diese Form beibehält (und das wird er wohl), dann ist das Podium in Paris nur noch Formsache.
Die Argumente für eine Wende schwinden. Viel wurde über die Hitze gesprochen – dass Vingegaard damit besser klarkommt, wegen seines geringeren Schweißverlusts. Aber heute war es brütend heiß, und wenn das Pogačars „schwacher“ Tag in der Hitze war, will man sich gar nicht vorstellen, was er bei idealen Bedingungen anrichtet. Wäre heute März gewesen – hätte er dann fünf Minuten Vorsprung herausgefahren?
Selbst vermeintliche Schwächen entpuppen sich als Stärken. Die Hitze, der Sturz gestern, der Ausfall von Almeida – nichts bringt Pogačar aus dem Tritt. Dieser Toursieg ist mehr als verdient. Die eigentliche Frage lautet: Wie viele wird er noch gewinnen?
Ab jetzt lohnt sich der Blick aufs Podium. Dort wird es richtig spannend. Außenseiter wie Florian Lipowitz, Tobias Johannessen, Oscar Onley oder Kévin Vauquelin rücken immer stärker in den Fokus. Keiner von ihnen galt vor der Tour als ernsthafter Podiumskandidat – und nun? Alles ist offen. Besonders nach Evenepoels Einbruch heute (mehr als 50 Kilometer vor dem Ziel!) ist klar: Der Kampf um Platz 3 ist eröffnet.
Bei Red Bull-Bora sind die Rollen nun klar: Lipowitz ist der Kapitän, Roglič wird sich unterordnen – oder, sollte er weiter Zeit verlieren, auf Etappensiege gehen. Lipowitz fuhr heute nur 13 Sekunden hinter Vingegaard ins Ziel. Morgen steht ein Bergzeitfahren an, und dort könnte er Evenepoel Zeit abnehmen – denn der Deutsche ist auch im Zeitfahren stark.
Tobias Johannessen wiederum zeigte heute eine echte Reaktion auf das Sturz-Drama mit Pogačar von gestern. Nach der Hetze in den sozialen Medien gegen ihn bewies er heute sportliche Größe – seine Uno-X-Mannschaft machte das Tempo, und er selbst lieferte ab. Eine starke Antwort auf unsportliche Kritik.
Kevin Vauquelin mausert sich derweil zum neuen Hoffnungsträger Frankreichs. Der Arkéa-Fahrer brilliert in jedem Terrain – und jetzt auch als Kletterer. Ein Podium bleibt ein Außenseiterziel, aber: Überraschungen hat die Tour schon immer geliebt.
Und Oscar Onley? Der ist längst kein Talent mehr, sondern Realität. Der Schotte ist Team Picnics Lebensversicherung im Kampf gegen den Abstieg – und dieser Tour-Auftritt bringt viele wichtige Punkte.
Fazit: Die Tour ist wohl entschieden – Pogačar ist (noch) nicht von dieser Welt. Doch der Kampf um die Plätze hinter ihm wird episch. Und er hat neue Namen hervorgebracht: Lipowitz, Onley, Johannessen, Vauquelin. Sie sind die Gesichter der Tour-Zukunft.
Und Sie? Was denken Sie über das, was heute passiert ist? Hinterlassen Sie einen Kommentar und beteiligen Sie sich an der Diskussion!
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