Die Welle von Fahrraddiebstählen im Profiradsport nimmt kein Ende – und sie zwingt Teams dazu, das Problem als strukturelle Herausforderung und nicht als Einzelfall zu betrachten.
Patrick Lefevere, ehemaliger Teamchef von Soudal-Quick-Step, hat in seiner jüngsten Kolumne für Het Nieuwsblad ein klares Statement abgegeben: Die Verantwortung für die Sicherung der Teamausrüstung liegt nicht allein bei den Teams. „Man kann sich fragen, ob die Veranstalter nicht eine Sorgfaltspflicht gegenüber den Teams haben“, schrieb Lefevere. „Müssten sie nicht unsere Parkplätze sichern?“
Seine Worte folgten auf den spektakulären Diebstahl von Cervélo-Rädern im Wert von rund 250.000 Euro aus dem Teambus von
Visma - Lease a Bike während der Vuelta a España. Die Täter handelten mit einer Geschwindigkeit und Effizienz, die deutlich macht, dass es sich nicht um spontane Einzeltaten, sondern um gut organisierte Operationen handelte. Visma war dabei kein Einzelfall: Auch das französische Team TotalEnergies meldete zu Beginn der Saison erhebliche Verluste durch Fahrraddiebstähle.
Für Lefevere, der selbst erlebt hat, wie sein Team Opfer von Diebstählen wurde, hat die Lage ein untragbares Niveau erreicht.
Mehrschichtige Sicherheitsmaßnahmen, aber weiterhin angreifbar
Die Teams setzen mittlerweile auf komplexe Sicherheitsstrategien, die teilweise absurd wirken, wäre die Bedrohung nicht real: „Wir parken den Lkw mit den Fahrrädern dicht an einer Wand, damit die Heckklappe nicht geöffnet werden kann. Oder wir stellen ein anderes Fahrzeug davor. Und wenn sich die Klappe in der Nacht trotzdem öffnet, wird im Mechanikerraum ein Alarm ausgelöst“, beschreibt Lefevere die Maßnahmen.
Doch selbst höchste Vorsicht schützt nicht zuverlässig. Ein besonders drastisches Beispiel schildert Lefevere aus der Zeit, als das Team noch unter dem Namen Quick-Step unterwegs war: „Die Mechaniker entschieden sich, die Räder in einem Lieferwagen zu transportieren, nicht im Team-Lkw. Das spart Zeit, weil man im Transporter 120 km/h fahren kann – praktisch auf dem Weg nach Italien. Für Diebe war das ein Geschenk.“
In der Nacht wurde der Lieferwagen samt wertvoller Fahrräder gestohlen. Überwachungsvideos dokumentierten die ganze Operation: Eine Bande fuhr über einen Weinberg, durchbrach den Hotelzaun und räumte den Lieferwagen in wenigen Minuten vollständig aus. „Unglaublich, wie schnell unser Wagen ausgeräumt und ihrer wieder aufgefüllt war“, so Lefevere. „Wenn es zu lange dauert, werfen sie die Fahrräder einfach in Büsche oder Wälder. Sie wissen, dass sie schnell handeln müssen.“
Visma wurde bei der La Vuelta Opfer eines Fahrraddiebstahls
Jenseits der Teams: Organisatorische Verantwortung gefordert
Obwohl die Teams mittlerweile eigene Sicherheitsprotokolle entwickelt haben – von strategischer Positionierung der Lkws bis hin zu Alarmanlagen – argumentiert Lefevere, dass die Last nicht allein bei ihnen liegen darf. Sein Hauptkritikpunkt: Die Rennveranstalter bieten kaum strukturelle Unterstützung. „Man beginnt sich zu fragen, warum die Organisatoren nicht aktiv werden“, sagt er. „Sie laden uns zu ihren Rennen ein, nutzen unsere Fahrer und unsere Ausrüstung, um ihre Veranstaltung zu vermarkten, und dennoch sind wir auf uns allein gestellt, wenn es um den grundlegenden Schutz geht.“
Dieses Argument ist nachvollziehbar. Teams tragen bereits hohe Kosten für Logistik, Personal und Ausrüstung – oft mehrere Millionen Euro pro Jahr. Kommt es während eines Rennens aufgrund fehlender Sicherheitsmaßnahmen zu Diebstählen, erscheint dies wie ein vermeidbares Risiko, das die finanzielle Stabilität bedroht.
Im Profi-Radsport fallen die Folgen eines Diebstahls schwer ins Gewicht. Rahmen und Komponenten sind oft maßgeschneidert. Ein Diebstahl kann den Rennplan durcheinanderbringen, die Fahrerleistung beeinträchtigen und kurzfristig immense Kosten verursachen. Selbst kleine Verzögerungen bei der Ersatzbeschaffung wirken sich auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.
„Die guten alten Zeiten“ – eine humorvolle Erinnerung
Trotz des ernsten Tons erlaubt sich Lefevere einen Moment der Nostalgie: „Während eines Rennens in Apulien bemerkte ich viele Motorroller, die unseren Parkplatz umkreisten – junge Burschen, die sich offensichtlich für unsere Räder interessierten.“
Der Hotelbesitzer bot eine typisch italienische Lösung an: „Für eine kleine Gebühr konnte er das Problem lösen. Ich bezahlte, und kurz darauf tauchten zwei dieser Motorroller wieder auf – diesmal als unser Sicherheitsdienst, komplett mit Waffen unter ihren Trainingsanzügen.“ Lefevere lacht: „Das waren die guten alten Zeiten.“
Lefevere war lange Zeit das Gesicht des Quick-Step-Teams
Zeit für eine kollektive Antwort
Scherz beiseite: Die Botschaft ist klar. Der Profiradsport kann Diebstähle nicht länger als Pech oder vereinzelte Zwischenfälle abtun. Die zunehmende Raffinesse der Diebe deutet auf kriminelle Netzwerke hin, die gezielt Rennen ins Visier nehmen. Ohne proaktive Maßnahmen der Veranstalter – insbesondere bei Hotels und Startzonen – wird das Problem weiter eskalieren.
Die Teams tun, was sie können. Doch ohne strukturelle Unterstützung bleibt es ein Katz-und-Maus-Spiel, das sie allein nicht gewinnen können. Lefevere fasst es knapp zusammen: „Die Organisatoren haben eine Sorgfaltspflicht – es ist an der Zeit, dass sie sich daran halten.“