"Mal sehen, wie ein Australier in einem australischen Team fährt" - Ben O'Connor führt Jayco zur Tour de France

Radsport
Dienstag, 01 Juli 2025 um 17:00
oconnor
Zum ersten Mal in seiner Karriere steht Ben O’Connor an der Spitze eines australischen Teams bei der Tour de France. Mit seinem Wechsel zu Jayco AlUla schließt sich für den 29-Jährigen ein Kreis: Nach erfolgreichen Jahren als Grand-Tour-Kletterer bei Decathlon AG2R La Mondiale übernimmt er 2025 erstmals die Rolle des Kapitäns bei der größten Rundfahrt der Welt.
„Die Tour de France ist das größte Rennen überhaupt. Ich bin stolz, Jayco AlUla als Gesamtführender anzuführen“, erklärte O’Connor in einer Team-Mitteilung. „Hoffentlich stehen wir am Ende in Paris mit einem starken Resultat da. Es wird spannend zu sehen, wie weit ein Australier in einem australischen Team kommen kann.“
Diese Rolle bedeutet für ihn mehr als nur sportlichen Erfolg. O’Connor sieht darin auch eine Chance, den Radsport in seiner Heimat voranzubringen. „Das ist etwas, auf das ich mich freue, auf das ich stolz bin und das ich für den australischen Radsport weiterentwickeln möchte.“

Vom Fluss ans Podium

Dass O’Connor heute zu den besten Kletterern im Peloton zählt, hat er nicht nur harten Trainingseinheiten zu verdanken. Seine Kindheit in Perth prägte ihn fernab von Medaillen und Trophäen – vielmehr waren es Flüsse, Klippen und Angelruten, die seinen Blick für Freiheit schärften.
„Wir waren immer am oder im Fluss. Ein Kilometer entfernt gab es Klippen, wo ich mit einem Freund angeln ging. Gleich daneben lag ein Golfplatz, Kricketfelder, Tennisplätze – alles, was man brauchte, um draußen zu sein“, erinnert sich O’Connor. „Die Natur hat mich geprägt. Das Wetter war großartig, sonnig, windig – ich liebe es bis heute.“

Ein Neuanfang mit leeren Taschen

Seine Familie wagte einst den mutigen Schritt nach Australien. Ursprünglich aus Liverpool stammend, suchten seine Eltern dort einen besseren Neuanfang – fast ohne Geld.
„Mein Vater wollte unbedingt weg, Liverpool in den 60ern war kein Ort, um Kinder großzuziehen“, erzählt O’Connor. „Sie hatten fast nichts, nur ein leeres Haus und ein paar Matratzen auf dem Boden. Unglaublich, was daraus geworden ist.“
Bis heute spürt er eine Verbindung zu Großbritannien. „Früher war ich oft dort, aber inzwischen war ich seit zehn Jahren nicht mehr in Liverpool. Es ist faszinierend, wie sehr sich die Stadt verändert hat.“

Andorra statt Ozean

Sein Alltag spielt sich mittlerweile meist in den Bergen Andorras ab – optimal fürs Höhentraining. Doch so praktisch die Pyrenäen auch sind, O’Connor vermisst die Küste seiner Heimat.
„Am meisten fehlt mir das Meer. Ich bin kein Strandlieger, aber ich liebe das Rauschen, die Weite, den Wechsel. Das gibt’s nur in Australien. Auch die Meeresfrüchte – nirgendwo gibt es so viel Auswahl wie bei uns.“

Von der Solo-Runde zum Kapitän

Die ersten Meter auf dem Rennrad drehte O’Connor ohne Team oder Verein. Ein Freund hatte ein Rennrad – und O’Connor wollte unbedingt auch eines. „Meine Eltern haben es mir gekauft. Mein Kumpel wollte aber nicht mit mir fahren, weil ich zu gefährlich war. Also bin ich alleine um den Swan River gefahren, immer wieder, bis er mich mitnahm.“
Sein Weg an die Weltspitze war nie vorgezeichnet. Kein Trainer, keine Nachwuchsakademie, nur Motivation und der unbedingte Drang, draußen zu sein.
2021 bewies O’Connor mit Rang vier bei der Tour erstmals sein Potenzial. 2024 folgte mit dem Vuelta-Podium und der WM-Silbermedaille in Zürich sein bisher größter Karrierehöhepunkt. Jetzt will er mit Jayco AlUla an diese Leistungen anknüpfen – und zeigen, dass ein australisches Team mit einem australischen Kapitän mehr kann, als nur mitfahren.
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