Im modernen Profi-Radsport ist es für viele Fahrer immer schwieriger, mit den übermächtigen Kapitänen der Szene mitzuhalten. Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard dominieren seit Jahren die Gesamtwertungen, was andere Profis dazu zwingt, nach alternativen Wegen zum Erfolg zu suchen. Einer, der diesen Ansatz verkörpert, ist Ben O’Connor. Der Australier hat seine Chance immer wieder in Ausreißversuchen gesucht – und wurde dafür reich belohnt.
„Ich hatte bereits Etappen bei Grand Tours gewonnen, aber Yunquera war etwas Besonderes. Zwei Wochen lang das rote Trikot zu tragen, ist heute fast unmöglich, da Jonas und Tadej alles beherrschen“, erklärte er gegenüber Marca. „Diese Führung so lange zu halten, war lebensverändernd. Ob ich je wieder zwei Wochen am Stück in Rot fahren werde, weiß ich nicht – aber es ist eine Erfahrung, die ich für den Rest meiner Karriere mitnehme.“ Am Ende wurde O’Connor Zweiter bei der Vuelta und bei den Weltmeisterschaften in Zürich erneut nur von Pogacar geschlagen.
Trotz der harten Konkurrenz will der 29-Jährige seine Möglichkeiten weiter ausloten. „Man weiß nie. Wir sind alle Menschen, niemand ist perfekt – auch wenn manche nahe dran sind. Im Radsport schwankt die Form. Letztes Jahr hatte Roglic mein Rennen scheinbar im Griff, und plötzlich war ich mit fünf Minuten Rückstand im Spiel. Hätte ich klüger agiert, wäre ich vielleicht näher am Sieg gewesen. Alles ist möglich“, so O’Connor. „Wer die Gesamtwertung anpeilt, muss jeden Tag liefern. Man kann sich nicht einfach zwei Etappen aussuchen.“
Nach einem elften Platz und einem Etappensieg bei der Tour de France zeigt er sich mit seiner Saison zufrieden. Mit Blick auf die Vuelta vertraut er auf ein starkes Team. „Chris Harper und Eddie Dunbar sind eine enorme Hilfe in den Bergen. Eddie hat im Vorjahr am Picón Blanco gewonnen. Dazu kommen viele Kollegen, die das Rennen kontrollieren können. Wir sind eine lustige Truppe, sitzen nach den Etappen stundenlang zusammen. Diese Atmosphäre schafft Teamgeist – und Erfolge.“
O'Connor bei der Vuelta 2025. @Sirotti
Seine Philosophie bleibt unverändert: Angreifen, wenn sich die Gelegenheit bietet. „Um die Gesamtwertung zu gewinnen, darf man nicht aufhören zu attackieren. Man muss kalkulierte Risiken eingehen“, sagt er. „Bei der Vuelta habe ich durch ein großes Risiko, den Anschluss an eine Ausreißergruppe, am Ende die entscheidenden Sekunden gewonnen. Auch bei der Tour 2021 habe ich in den Bergen attackiert, eine Etappe geholt, Zeit gutgemacht und wurde Vierter. Aggressiv zu fahren hat mir die besten Ergebnisse gebracht – aber immer mit einem klaren Kopf.“
Auch für die Zukunft hat O’Connor klare Ziele. „Ich wäre froh, wenn ich weiterhin so erfolgreich wäre wie im letzten Jahr. Ich möchte große Siege holen. Das Vuelta-Podium war der Beweis, dass ein Team gemeinsam ein Ziel erreichen kann. Nach meinem fünften Platz beim Giro wusste ich, dass ich eine Podiumschance verschenkt hatte. Jetzt geht es darum, diese Ergebnisse zu wiederholen und zu verbessern: einen weiteren Tour-Etappensieg und in Madrid wieder aufs Podium.“