Die Corsa Rosa ist die erste Grand Tour der Saison – und startet 2025 erstmals in einem völlig neuen Terrain: Albanien feiert seine Premiere als Gastgeber einer Grand Tour. Während in der zweiten Hälfte der Rundfahrt mehrere Bergetappen warten, war die erste Woche geprägt von tückischen Profilen – darunter eine Etappe auf den Schotterstraßen der Strade Bianche.
Der Blick richtet sich nun auf Etappe 15, die Erinnerungen bei eingefleischten Giro-Fans weckt: Das Finale diente bereits 2017 als Abschluss einer Schlüsseltappe im Hochgebirge. Damals sorgte die Kombination aus Monte Grappa, dem Anstieg nach Dori und dem hügeligen Schlussabschnitt nach Asiago für ein spektakuläres Rennen.
Auch in diesem Jahr hofft die Rennleitung auf ähnlich explosive Szenen – zum Abschluss der zweiten Woche, bevor es in die letzte Giro-Woche geht.
Fiume Veneto - Asiago, 219 Kilometer
219 Kilometer – so lang ist Etappe 15 des Giro d’Italia 2025. Ein echter Ausdauertest, wie man ihn bei der Tour de France zuletzt selten gesehen hat. Der Giro bleibt sich treu: lange Distanzen, harte Profile und Raum für Überraschungen – besonders in den Bergen. Gleich zu Beginn wartet der berühmte Muro di Ca' del Poggio. Extrem steil, aber noch zu früh im Rennen, um als Sprungbrett für Angriffe zu dienen.
Richtig ernst wird es später: Der Monte Grappa steht auf dem Programm – nicht über seine härteste Rampe, aber dennoch mit 25 Kilometern Länge und 5,7 % Durchschnittssteigung ein gewaltiger Test. Die Fahrer werden dort fast eine Stunde bergauf fahren – mit Passagen, die hart genug sind, um das Rennen zu öffnen.
Ob jemand angreift? Möglich – aber unwahrscheinlich. Denn der Gipfel liegt noch 91 Kilometer vor dem Ziel. Eine frühe Offensive wäre riskant, aber in der letzten Etappe der zweiten Woche ist nichts ausgeschlossen. Viel wird davon abhängen, wie die Teams taktisch reagieren – und wer noch die Beine hat.
Die Abfahrt vom Monte Grappa ist lang, steil und technisch – danach beginnt ein Finale, das taktisch kaum komplexer sein könnte. Über wellige Straßen geht es zum letzten Anstieg des Tages nach Dori: 16,6 Kilometer bei 5,3 % Steigung. Kein brutaler Berg, keine zweistelligen Rampen – aber ein gleichmäßiger Anstieg, der mit Tempo gefahren wird. Einer, der in den Beinen brennt, wenn zuvor schon Höhenmeter gesammelt wurden.
Was diese Etappe so spannend macht, ist weniger die reine Schwierigkeit – sondern das taktische Potenzial. Etwa 28 Kilometer vor dem Ziel beginnt eine schnelle Abfahrt, die in eine kurze, aber knackige Rampe von 1,5 Kilometern mit 8 % führt. Wer hier attackiert, kann sich absetzen – denn eine große Abfahrt danach gibt es nicht mehr.
Das Finale führt über eine leicht ansteigende Hochebene Richtung Asiago – ein Terrain voller Möglichkeiten. Es ist unberechenbar, wellig, offen für Attacken. Kein Ort für reine Bergspezialisten, sondern für Rennintelligenz, Teamtaktik und Mut. Wer hier Schwächen zeigt, verliert Sekunden – oder Minuten.
Es ist das Ende der zweiten Giro-Woche. Und vielleicht der Anfang größerer Verschiebungen im Klassement.
Das Wetter
Karte Giro d'Italia 2025 Etappe 15
Leichte Regenwahrscheinlichkeit. Sollte es tatsächlich nass werden – was auch heute eher unwahrscheinlich ist – würden die Abfahrten deutlich technischer, das Rennen insgesamt hektischer und der Tag spürbar anspruchsvoller.
Die Favoriten – Etappe 15 beim Giro d’Italia 2025
UAE Team Emirates
Isaac del Toro zeigt keine Anzeichen von Schwäche und wirkt weiterhin
stabil im Maglia Rosa. Natürlich kann Müdigkeit in der letzten Woche eine Rolle
spielen – aber aktuell gibt es keinen Grund zu zweifeln. Die 15. Etappe liegt
ihm: lange Anstiege, taktisches Finale, schwieriges Terrain. Er sollte Zeit
halten – oder sogar gewinnen, sei es durch eine späte Attacke oder einen
kleinen Sprint gegen andere Klassementfahrer.
Juan Ayuso dürfte erneut als Marker fungieren –
bereit, auf jeden Zug von Primoz Roglic zu reagieren. Denkbar wäre aber
auch eine offensivere Variante: Ayuso greift an, Del Toro deckt das Feld ab.
Schwieriger umzusetzen, aber mit hohem Potenzial. Durch den Zeitverlust von Adam Yates und Brandon
McNulty fehlen UAE mittlerweile taktische Optionen in der Breite. Sie
können das Rennen zwar kontrollieren, aber kein Feuerwerk mehr entfachen. Ein
konservativer Ansatz wäre daher naheliegend – vor allem, weil die Steigungen
Roglic nicht direkt in die Karten spielen.
Primoz Roglic (BORA-hansgrohe)
Sollte UAE das Tempo ruhig halten, könnte Roglic profitieren – doch aus eigener
Kraft wird es schwer. Nur Giulio Pellizzari zeigt Konstanz in der
Bergarbeit. Der Rest des Teams verliert regelmäßig den Anschluss. Angriffe aus
der Distanz? Unwahrscheinlich. Möglich, dass Roglic im Finale auf ein günstiges
Szenario hofft oder in der letzten Woche offensiver wird – wenn Del Toro doch
noch Schwächen zeigt.
Der GC-Kampf
Simon Yates liegt überraschend auf Rang zwei. Als starker Kletterer
hätte er hier Vorteile – doch bislang wirkte er nicht in Bestform.
Wahrscheinlich setzt er auf Schadensbegrenzung und eine starke dritte Woche.
Richard Carapaz ist der große Joker. EF hat kein
starkes Bergteam, aber Carapaz braucht keine Hilfe, um ein Rennen aufzumischen.
Wenn er zündet, dann richtig – und Etappe 15 ist ein Terrain, das sich für
Soloaktionen eignet.
Derek Gee hat sich auf Rang 6 vorgearbeitet und
dürfte diesen verteidigen wollen. Bahrain Victorious wird nach dem Sturz
von Antonio Tiberi vermutlich vorsichtiger agieren. INEOS Grenadiers
hingegen könnte das Rennen offensiv gestalten: Ihre Klassementchancen sind
klein – also bleibt nur, Unruhe zu stiften.
Die Ausreißer
Der flache Start erschwert es reinen Kletterern, in die Gruppe zu kommen.
Dennoch: Es gibt kein Team mit echtem Interesse, das Rennen durchgehend zu
kontrollieren. Das macht den Tag offen – perfekt für eine Ausreißergruppe mit
cleverer Zusammensetzung.
Tom Pidcock,
Max Poole und
Chris Harper
sind keine echten GC-Bedrohungen mehr, könnten sich aber mit einem Etappensieg
neues Momentum holen. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe an Namen, die für
einen erfolgreichen Vorstoß in Frage kommen:
Nicolas Prodhomme, Marco Frigo, Nairo Quintana, Pello
Bilbao, Rémy Rochas, Stefano Oldani, Wout Poels, Lorenzo Fortunato, Luke Plapp,
Romain Bardet, Mathias Vacek, Mattia Cattaneo – alles Fahrer mit
Kletterqualitäten, Etappenhunger und taktischem Gespür.
Vorhersage – Giro d’Italia 2025, Etappe 15
Favoritenliste (geordnet nach Chancen):
*** Luke Plapp, Mathias Vacek, Wout Poels
** Isaac del Toro, Pello Bilbao, Nicolas Prodhomme, Romain Bardet
* Juan Ayuso, Primoz Roglic, Richard Carapaz, Marco Frigo, Nairo Quintana, Rémy Rochas, Stefano Oldani, Lorenzo Fortunato, Mattia Cattaneo
Tipp des Tages: Luke Plapp
Szenario: Solosieg aus der Ausreißergruppe
Nach einem flachen Beginn und taktisch offenem Mittelteil
könnte eine stark besetzte Ausreißergruppe durchkommen. Plapp bringt sowohl
Punch auf welligem Terrain als auch genug Ausdauer für lange Tage – und hat in
diesem Giro mehrfach seine aggressive Fahrweise gezeigt. Wenn er sich früh
absetzt, hat er das Profil und die Form, um das Rennen von vorne zu gewinnen.