Nur wenige Radsportler genießen einen so ehrfürchtigen Ruf wie
Miguel Indurain. Der fünffache Tour-de-France-Sieger prägte eine Ära mit seiner stillen Dominanz und seinem gleichmäßigen, unerschütterlichen Stil. Lob verschenkt der Spanier selten – doch bei
Tadej Pogacar macht er eine Ausnahme.
„Er hat bereits gezeigt, wozu er fähig ist“, sagte Indurain im Gespräch mit Radio Marca. „101 Siege, ein unerbittlicher Kämpfer, der nie aufgibt – egal auf welchem Terrain. Er ist ein großer Rivale.“
Ein Fahrer, der neue Maßstäbe setzt
Im Peloton herrscht weitgehend Einigkeit: Pogacar ist ein Ausnahmetalent. Mit gerade einmal 25 Jahren hat sich der Slowene als Inbegriff des modernen Rundfahrtspezialisten etabliert – explosiv, vielseitig, unerschrocken. Seine Erfolge sind nicht nur zahlreich, sondern auch stilbildend: Pogacar gewinnt mit Instinkt und Aggressivität, mit Show und Substanz.
Indurain war in seiner Ära der König des Zeitfahrens
Indurain selbst hätte sich in seiner aktiven Zeit gerne mit ihm gemessen: „Natürlich. Man will sich immer mit den Besten vergleichen. Manchmal gewinnst du, manchmal nicht – aber das treibt dich an. Und selbst wenn er dich schlägt, musst du ihm alles abverlangen. Genau das machen seine Gegner.“
Einen historischen Vergleich findet Indurain schwierig. Pogacar sei ein völlig anderer Fahrertyp – angriffslustig, anpassungsfähig, perfekt zugeschnitten auf einen modernen Radsport, der kürzer, intensiver und stärker auf mediale Wirkung ausgelegt sei. Zeitfahren bleiben wichtig, aber die Dynamik der Rennen habe sich spürbar verändert.
„Heute musst du das ganze Jahr über liefern“
Diese Entwicklung verfolgt Indurain aufmerksam. In seiner Zeit dominierten lange Etappen mit über 300 Kilometern, heute ist alles komprimierter – aber nicht einfacher. „Ich bin mal 340 Kilometer an einem Tag gefahren“, erinnert sich der Spanier. „Heute ist das anders, aber die Fahrer müssen trotzdem alles können. Und das ist Pogacar – er klettert, fährt bergab, brilliert im Zeitfahren. Über drei Wochen ist er kaum zu schlagen.“
Ein weiteres Thema: der moderne Rennkalender. Die Belastung ist laut Indurain heute weitaus höher. „Physisch und mental ist das brutal. Du bist das ganze Jahr gefordert – Klassiker, Grand Tours, Saisonfinale. Es gibt kaum Pausen. Früher war der Kalender übersichtlicher. Heute gibt es mehr Daten, mehr Technik – aber die Beine müssen trotzdem liefern.“
Ob Pogacar wie Alejandro Valverde bis ins hohe Alter auf Topniveau fahren kann? Indurain bleibt zurückhaltend: „Das wird schwer. Das aktuelle Programm verlangt ständige Höchstleistung, mit kaum Spielraum zur Regeneration.“
Und doch bleibt eine Konstante bestehen: Wer bei einer Grand Tour gewinnen will, muss ein kompletter Fahrer sein – damals wie heute. „Früher war alles länger, wuchtiger – heute ist es dichter und explosiver. Aber das Prinzip bleibt: Wer alles beherrscht, kann alles gewinnen.“
Pogacar verkörpert genau das – und erhält deshalb Anerkennung selbst von den größten Legenden des Sports. In einem sich ständig wandelnden Radsport bleibt eines unverändert: Der Maßstab ist Komplettheit – in jeder Disziplin, zu jedem Zeitpunkt.