Patrick Lefevere war nie ein Mann der leisen Töne. Auch jetzt, wo er nicht mehr aktiv das Tagesgeschäft bei Soudal – Quick-Step führt, meldet er sich zu Wort, wenn es um das wohl brisanteste Thema im Radsport geht: den Abgang von
Remco Evenepoel zu Red Bull – BORA – hansgrohe ab 2026. In seiner Kolumne im Het Nieuwsblad erklärte der langjährige Teammanager, warum dieser spektakuläre Transfer überhaupt möglich wurde – und warum Belgien dabei eine ganz besondere Rolle spielt.
Ein Muster von Transfers
Für Lefevere ist der Wechsel von Evenepoel kein Einzelfall, sondern Teil eines Musters. Immer wieder seien es belgische Fahrer, die sich vorzeitig aus laufenden Verträgen lösen konnten. Er erinnert an
Maxim Van Gils,
Cian Uijtdebroeks und sogar an Wout van Aert, dessen Transfer zu Jumbo-Visma vor einigen Jahren juristisch verhandelt wurde, am Ende aber dennoch im Sinne des Fahrers ausging.
„Es geht immer um Belgier, das ist kein Zufall“, betont Lefevere. Was wie eine persönliche Beobachtung klingt, hat in Wahrheit einen tiefen rechtlichen Hintergrund.
Das besondere Arbeitsrecht für belgische Profis
Im Kern dreht sich alles um den Beschäftigungsstatus belgischer Radprofis. Während Fahrer in vielen Ländern als unabhängige Vertragspartner verpflichtet werden, die sich auf private Vereinbarungen mit hohen Ablösesummen einlassen, gilt für Belgier das nationale Arbeitsrecht. Sie sind offiziell Angestellte – mit Urlaubsanspruch, Unfallversicherung und, entscheidend für den Transfermarkt, einem klar geregelten Kündigungsschutz.
Das sogenannte „Gesetz von 1978“ legt fest, dass eine Entschädigung im Falle einer Vertragsauflösung maximal dem Gehalt der verbleibenden Vertragslaufzeit entspricht. Teure Abfindungsklauseln, die Fahrer faktisch jahrelang binden könnten, sind damit in Belgien nicht zulässig. Für Teams mag das ein Nachteil sein, für Fahrer bedeutet es größere Bewegungsfreiheit – und im Fall Evenepoel eine realistische Chance, schon 2026 den Sprung zu BORA zu machen.
Quick-Step ohne Klettertiefe, BORA mit Perspektive
Dass Evenepoel früher oder später ein neues Umfeld suchen würde, kam für viele Beobachter nicht überraschend. Der Weltmeister von 2022 hatte immer wieder betont, dass er ein stärkeres Team um sich herum brauche, wenn er bei den großen Landesrundfahrten konkurrenzfähig sein will. Soudal – Quick-Step, das über Jahre hinweg auf Klassiker und Sprints ausgerichtet war, konnte diese Infrastruktur trotz einiger Nachbesserungen nie in der Tiefe bieten.
Red Bull – BORA – hansgrohe hingegen investiert seit Jahren gezielt in Grand-Tour-Kader, hat mit Jai Hindley, Aleksandr Vlasov und Lennard Kämna bereits etablierte Kletterer im Team und mit Red Bull einen finanzstarken Partner, der auf Expansion setzt. Für Evenepoel ist der Schritt daher nicht nur juristisch möglich, sondern auch sportlich logisch.
Lefeveres nüchterner Blick
Bemerkenswert ist, dass Lefevere den Wechsel ohne Groll kommentiert. „Remco wurde seine Versetzung bewilligt“, schreibt er und deutet an, dass hinter den Kulissen mehrere Akteure mitgewirkt haben, die nicht unbedingt auf den offiziellen Pressefotos auftauchen. Er selbst habe keine schlechten Gefühle, fügt er hinzu. Wer dafür gesorgt hat, dass alles „reibungslos ablief“, sei klar – und dazu zähle nicht zuletzt der belgische Gesetzgeber.
Mehr als nur ein Einzelfall
Am Ende ist der Fall Evenepoel mehr als nur ein prominenter Transfer. Er zeigt, wie nationale Gesetzgebungen den internationalen Radsport prägen. Wo Verträge in anderen Ländern eiserne Fesseln sein können, bietet Belgien seinen Profis ein Schlupfloch, das Transfers erleichtert und die Mobilität erhöht.
Für Remco Evenepoel bedeutet das den Wechsel in ein neues sportliches Kapitel – und für den Radsport insgesamt eine Debatte darüber, ob der belgische Sonderweg ein Modell für mehr Fairness ist oder Teams wie Quick-Step dauerhaft benachteiligt.