Magische Momente der Tour de France: 2 Tage bis zum Start | Fausto Coppi gegen Gino Bartali – das Duell des Jahres 1949

Radsport
Donnerstag, 03 Juli 2025 um 21:00
remcoevenepoel tadejpogacar jonasvingegaard tourdefrance
Nur noch 2 Tage – dann startet endlich die Tour de France 2025. Der Moment, auf den wir alle gewartet haben, steht kurz bevor. In unserem heutigen Countdown-Artikel blicken wir mehr als 75 Jahre zurück und tauchen ein in eine der legendärsten Rivalitäten des Radsports: das epische Duell zwischen Fausto Coppi und Gino Bartali bei der Tour de France 1949.
Diese beiden italienischen Ikonen, der eine schon als etablierter Champion, der andere als aufstrebender Superstar, verwandelten die 36. Tour in einen packenden internen Kampf, der die Fans fesselte und den Radsport weit über das Übliche hinaus prägte. Die Konfrontation von Bartali und Coppi im Jahr 1949 gilt bis heute als eine der berühmtesten Episoden der Tour-Geschichte – ein Clash der Stile, Generationen und eines unermüdlichen Willens, wie es ihn zuvor nie gab.
Lass uns eintauchen, wie diese Rivalität die Tour 1949 geprägt hat und warum sie bis heute ein geliebtes Kapitel im Radsport geblieben ist.
Bis 1949 waren Gino Bartali und Fausto Coppi bereits nationale Helden in Italien. Bartali, fünf Jahre älter, ein tief gläubiger Toskaner, hatte die Tour de France bereits zweimal gewonnen (1938 und 1948) und war berühmt für seine Rolle, die italienische Moral nach dem Zweiten Weltkrieg zu stärken.
Coppi dagegen war der schlanke, moderne Champion aus dem Piemont, bekannt als „Il Campionissimo“ wegen seiner Eleganz auf dem Rad. Vor 1949 hatte er den Giro d’Italia schon zweimal für sich entschieden, doch bei der Tour musste er sich noch beweisen.
Trotz ihrer gemeinsamen Erfolge standen Bartali und Coppi für ganz unterschiedliche Ideale. Bartali galt als traditionell und standhaft, Coppi verkörperte Innovation und den Aufbruch in eine neue Ära. Ihre Rivalität entwickelte sich während der 1940er Jahre, beginnend mit Coppins Durchbruch beim Giro 1940. Ende der 1940er Jahre war Italien gespalten in zwei Lager: die „Bartalisti“ und die „Coppisti“, die jeweils ihren Helden leidenschaftlich unterstützten. Dieses Wettkampf-Feuer entlud sich schließlich auf der größten Bühne des Radsports, als beide 1949 bei der Tour de France an den Start gingen.
Im Gegensatz zu heutigen Touren wurde das Rennen 1949 von Nationalmannschaften bestritten, was bedeutete, dass Bartali und Coppi gemeinsam für das italienische Team fahren mussten. Diese Konstellation sorgte von Anfang an für Spannung. Bartali war der amtierende Tour-Sieger (Triumph 1948) und erwartete, das Team anzuführen. Coppi hingegen kam frisch vom Sieg beim Giro d’Italia 1949 und hatte das Ziel, das Giro-Tour-Double zu schaffen.
Das italienische Teammanagement, angeführt vom legendären Ex-Fahrer Alfredo Binda, stand vor einem Dilemma: Zwei Superstars als Kapitäne, aber nur ein Gelbes Trikot. Bei der Teamauswahl war Coppi fast versucht, gar nicht erst teilzunehmen, so ungern wollte er sich Bartali unterordnen. Binda vermittelte wenige Wochen vor dem Start eine fragile Waffenruhe und überzeugte die stolzen Rivalen, „gemeinsam für Italien zu kämpfen“.
Dennoch blieb die Frage der Führung groß, als die Tour am 30. Juni 1949 startete. Binda erklärte, dass „die Straße den Sieger bestimmen“ werde und überließ es Bartali und Coppi, sich durch Leistung zu behaupten. Theoretisch sinnvoll, praktisch jedoch ein Brandbeschleuniger für den internen Wettbewerb. Keiner war bereit, seine eigenen Ambitionen zurückzustellen, und es schien, als könnte die brüchige Waffenruhe jederzeit zerbrechen.

Etappe 5

Die erste Woche der Tour 1949 verlief für keinen der beiden italienischen Stars reibungslos. Sowohl Bartali als auch Coppi verloren in den Flachetappen Zeit und lagen weit hinten in der Gesamtwertung. Die unterschwellige Spannung eskalierte schließlich in einer Krise bei Etappe 5, als Coppi sich gemeinsam mit dem Spitzenreiter Jacques Marinelli in einer Fluchtgruppe absetzte, um wertvolle Zeit gutzumachen.
Doch das Desaster folgte schnell: Coppi stürzte schwer und zerbrach sein Rad. Während Marinelli sofort wieder aufsattelte und weiterfuhr, weigerte sich Coppi stur, ein Ersatzrad aus dem Teamwagen anzunehmen. Er bestand darauf, auf sein eigenes Ersatzrad zu warten – was ihn wertvolle Minuten kostete. Seine Frustration wuchs so sehr, dass er sogar damit drohte, das Rennen sofort aufzugeben.
Bartali kam schließlich zu Coppi, der gestrandet war. In einer außergewöhnlichen Geste von Fairplay hielt Bartali trotz ihrer Rivalität an und wartete auf seinen Teamkollegen. Als Teammanager Binda mit Coppins Ersatzrad eintraf, setzten die beiden die Fahrt gemeinsam fort, um den Schaden so gering wie möglich zu halten. Doch Coppi war durch den Sturz erschüttert und erschöpft und begann bald zurückzufallen.
Nach einer Weile langsamen Fahrens traf Bartali die schwere Entscheidung, Coppi zurückzulassen. Mit Bindas Zustimmung fuhr Bartali weiter, um seine eigenen Chancen bei der Tour nicht zu gefährden.
Die Folgen der fünften Etappe waren gravierend. Coppi schleppte sich mit einem Rückstand von unglaublichen 18 Minuten auf die Spitze ins Ziel – eine Ewigkeit bei der Tour. In der Gesamtwertung lag er mehr als eine halbe Stunde zurück und war zutiefst niedergeschlagen. Am Abend war Coppi wütend und fühlte sich vom Team im Stich gelassen: Warum war das italienische Begleitfahrzeug nicht näher bei ihm geblieben, als er in der entscheidenden Fluchtgruppe war?
Für Coppi war das ein klarer Beweis, dass das Team Bartali als Anführer bevorzugte. Tief enttäuscht und verraten sprach der stolze Campionissimo sogar davon, die Tour ganz abzubrechen. Erst mit all seinem Geschick und Überzeugungskraft konnte Alfredo Binda den aufgewühlten Coppi beruhigen und dazu bringen, im Rennen zu bleiben.

Die Berge

Doch in den folgenden Wochen wurde schnell klar, dass Fausto Coppins Tour noch lange nicht vorbei war. Stück für Stück arbeitete er sich an der Gesamtzeit heran und gewann sogar das 92 km lange Einzelzeitfahren der 7. Etappe nach La Rochelle.
Die entscheidenden Kämpfe der Tour 1949 spielten sich in den Alpen während der dritten Woche ab, wo die Rivalität zwischen Coppi und Bartali ihren dramatischen Höhepunkt erreichte. Bis zur 15. Etappe hatte sich Bartali auf Gesamtplatz 2 vorgekämpft, Coppi lag auf Rang 3 – beide in Schlagdistanz zum Gelben Trikot. Die 16. Etappe am 18. Juli war eine Monster-Etappe in den Alpen von Cannes nach Briançon (275 km). Dieses Terrain kannte Bartali bestens: Er hatte dort bei seinen Tour-Siegen 1938 und 1948 am Izoard triumphiert. Doch nun war Coppi genauso bereit, anzugreifen.
Auf den kargen Hängen des Izoard setzte Bartali seine Attacke. Der 34-jährige Champion zog an und versuchte, alle Rivalen abzuschütteln. Nur ein Mann konnte folgen: Coppi. Auf Bindas Ansporn hin schloss Coppi zu seinem Teamkollegen auf, und gemeinsam fuhren die beiden Italiener dem Feld davon. Es war eine vernichtende Vorstellung im Duo – der Rest des Pelotons, inklusive dem Spitzenreiter, blieb auf dem Anstieg weit zurück.
Bartali und Coppi erreichten Briançon Hand in Hand, nachdem sie mehr als 20 Minuten auf alle anderen herausgefahren hatten. In einer ikonischen Geste ließ Coppi Bartali als Geburtstagsgeschenk die Ziellinie zuerst überqueren – es war Bartalis 35. Geburtstag, und Coppi schenkte ihm den Etappensieg. Diese Respektbekundung trotz Rivalität begeisterte die italienischen Fans und zeigte die komplexe Mischung aus Konkurrenz und Kameradschaft zwischen den beiden.
Wenn die 16. Etappe ein Triumph für Bartali war, wurde die 17. Etappe (von Briançon nach Aosta, 257 km) zur Krönung für Coppi. Die Strecke führte über die Alpen nach Italien, darunter den mächtigen Col de l’Iseran auf 2.770 m, den höchsten Punkt der Tour 1949. Bartali und Coppi fuhren erneut allen Rivalen in den Bergen davon und setzten ihren privaten Zweikampf fort.
Doch etwa 40 Kilometer vor dem Ziel traf Bartali das Pech. Auf einer ruppigen Abfahrt bekam er einen Platten. Als er stoppte, um den Reifen zu wechseln, zeigte Coppi wahre Sportlichkeit: Er fuhr langsam weiter und wartete auf Bartali, bis dieser wieder anschließen konnte. Die italienischen Tifosi entlang der Strecke jubelten, als sie ihre beiden Helden wieder vereint sahen. Doch nur wenige Kilometer später wendete sich das Blatt erneut – Bartali stürzte auf glitschigen Felsen schwer.
Diesmal ließ Coppis Geduld nach. Als Bartali sich nur langsam wieder aufs Rad schwang, gab Binda schließlich das Zeichen für Coppi, sein eigenes Rennen zu fahren. Der jüngere Italiener nutzte den Moment, griff solo an und stürmte mit unbändigem Willen die Straße hinauf.
Coppins Solofahrt nach Aosta wurde zur entscheidenden Szene der Tour 1949. Frei von Teamzwängen raste er über den letzten Anstieg und ins Ziel und gewann die 17. Etappe mit mehreren Minuten Vorsprung auf den erschöpften Bartali. Mit diesem Coup glich Coppi seinen Rückstand aus und übernahm das Gelbe Trikot.
Passenderweise feierte Coppi seinen dritten Etappensieg der Tour, als er die 20. Etappe, das 137 km lange Einzelzeitfahren von Colmar nach Nancy, dominierte und Bartali weitere 7 Minuten abnahm. Als das Rennen am 24. Juli 1949 in Paris ankam, hatte Coppi einen beeindruckenden Vorsprung von 10 Minuten und 55 Sekunden auf Bartali in der Gesamtwertung herausgefahren. Italien belegte die Plätze 1 und 2, wobei Coppi sich zusätzlich die Bergwertung sicherte und so seine Überlegenheit bei der Tour endgültig manifestierte.

Das Vermächtnis

Fausto Coppis Sieg bei der Tour de France 1949 war auf mehreren Ebenen historisch. Mit 29 Jahren wurde er der erste Fahrer überhaupt, der im selben Jahr das Giro d’Italia–Tour de France-Double schaffte – ein Beweis für seine außergewöhnliche Vielseitigkeit. Für Coppi markierte diese Tour den endgültigen Durchbruch von „Il Campionissimo“ auf der internationalen Bühne und bestätigte seinen Status als eine der größten Legenden des Radsports.
Wenn wir an den Sommer 1949 zurückdenken, sehen wir mehr als nur einen Sieger und einen Zweiten – wir sehen zwei Legenden, deren Duell auf der Straße zur Radsportgeschichte wurde. Ihre sportliche Fairness und ihr unbändiger Kampfgeist hinterließen einen unauslöschlichen Eindruck bei der Tour de France. Am Ende fuhr Fausto Coppi triumphierend nach Paris, doch es war die elektrisierende Rivalität mit Gino Bartali, die die Tour 1949 wirklich prägte. Mehr als sieben Jahrzehnte später hallt ihr Kampf in den Alpen und darüber hinaus noch immer nach – ein leuchtendes Beispiel für die dramatischsten und unvergesslichsten Rivalitäten der Tour.
Klatscht 0Besucher 0
Schreiben Sie einen Kommentar