ANALYSE | Zeitfahr-Duell der Giganten: Pogacar und Evenepoel im direkten Rekordvergleich

Radsport
Samstag, 20 September 2025 um 21:30
pogacar evenepoel
Das Zeitfahr-Duell zwischen Remco Evenepoel und Tadej Pogacar bei den Weltmeisterschaften am Sonntag könnte zu einer der prägenden Geschichten dieser Saison werden. Beide haben längst Seriensieger-Status erreicht: Pogacar mit vier Tour de France-Titeln, einem Giro-Sieg, einem Weltmeistertitel und zahlreichen Klassikern; Evenepoel mit einer Vuelta, Regenbogentrikots und olympischem Gold. Doch wenn es gegen die Uhr geht, sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache – zugunsten des Belgiers. In zehn direkten Duellen gewann Evenepoel achtmal.
Und dennoch: Die beiden Niederlagen stechen heraus. Beide ereigneten sich auf profilierter Strecke – genau die Art Terrain, die auch am Sonntag in Kigali wartet.
Denn hier geht es nicht nur um Sekunden auf dem Papier, sondern um zwei grundverschiedene Ansätze. Evenepoel verkörpert den perfekten Zeitfahrer: kompromisslos aerodynamisch, gleichmäßig, fehlerlos – besonders auf flachen und hügeligen Kursen. Pogacar hingegen verwandelt ein Zeitfahren gerne in ein Bergszenario. Auf ansteigenden Straßen kann er seine Explosivität, seine Tempowechsel und sein Gespür für Rhythmus ausspielen.
Die 40,6 Kilometer von Kigali mit 680 Höhenmetern und einem Kopfsteinpflasteranstieg im Finale bilden somit die perfekte Schnittmenge beider Welten – und damit die Bühne für ein episches Kräftemessen. Um zu verstehen, warum dieses Duell so elektrisiert, lohnt sich ein Blick zurück: Rennen für Rennen, Schlagabtausch für Schlagabtausch.
tadejpogacar remcoevenepoel

Kopf an Kopf-Rennen

Das erste große Aufeinandertreffen im Zeitfahren fand 2021 bei den Europameisterschaften im Trentino statt. Die 22,4 Kilometer lange Strecke war flach, perfekt für Spezialisten. Stefan Küng gewann vor Filippo Ganna, Evenepoel wurde Dritter, Pogacar nur Zwölfter – fast eine Minute zurück. Es zeichnete sich früh ein Muster ab: Auf flachem Terrain war Evenepoels Motor kaum zu schlagen.
Auch bei den Weltmeisterschaften in Flandern wenige Wochen später wiederholte sich das Bild: Ganna siegte, Evenepoel wurde erneut Dritter, Pogacar lag mit über einer Minute Rückstand abgeschlagen. Zwei Rennen, zwei klare Erfolge für den Belgier.
Doch bei Tirreno–Adriatico 2022 kam erstmals Spannung auf. Im 13,9 Kilometer langen Auftaktzeitfahren mit kurzen Anstiegen siegte Ganna, Evenepoel wurde Zweiter, Pogacar Dritter – nur sieben Sekunden trennte die Rivalen. Ein Vorgeschmack, wie das Terrain die Kräfteverhältnisse verschieben kann.
Bei den Weltmeisterschaften in Wollongong blieb Evenepoel klar vorne (Platz 3), Pogacar wurde Sechster – wieder 40 Sekunden zurück. Ein Jahr später, 2023 in Stirling, erreichte die Dominanz ihren Höhepunkt: Evenepoel fuhr zu seinem ersten Regenbogentrikot im Zeitfahren, Pogacar enttäuschte mit Rang 21 und über drei Minuten Rückstand.
Dann die Wende: Bei der Tour de France 2024 schlug das Pendel um. Evenepoel gewann das erste Zeitfahren über 25 Kilometer knapp vor Pogacar, doch auf der Schlussetappe von Monaco nach Nizza brillierte der Slowene. Das bergige Profil mit Col d’Èze und La Turbie lag ihm perfekt, er siegte mit über einer Minute Vorsprung und sicherte sich seinen dritten Toursieg. Zum ersten Mal hatte Pogacar Evenepoel im direkten TT-Duell geschlagen.
2025 setzte sich die Rivalität fort. Beim Critérium du Dauphiné dominierte Evenepoel auf einer hügeligen Strecke, Pogacar verlor fast 50 Sekunden. Bei der Tour de France gewann der Belgier erneut das flache Zeitfahren über 33 Kilometer. Doch beim brutalen Bergzeitfahren nach Peyragudes brach er ein: Pogacar siegte mit einer Machtdemonstration, Evenepoel verlor über zweieinhalb Minuten – sein schwärzester Tag.
Die Bilanz ist eindeutig: 8:2 für Evenepoel. Doch Pogacars Siege kamen beide auf kletterlastigen Kursen – 2024 in Nizza, 2025 in Peyragudes. Immer dann, wenn der Anstieg das Zeitfahren prägte, hatte er die Oberhand.
Und nun Kigali: 40,6 Kilometer, 680 Höhenmeter, technische Abfahrten, steile Rampen, Kopfsteinpflaster im Finale. Weder ein flaches Power-Zeitfahren noch ein reines Berg-TT, sondern ein Hybrid, der keine klaren Favoriten kennt.
Für Evenepoel ist es ein Test der Vielseitigkeit: Er muss nicht nur seine konstante Aerodynamik ausspielen, sondern auch die explosiven Anstiege überstehen. Für Pogacar ist es die vielleicht größte Chance: Die Strecke erinnert an seine beiden Siege – lang, wellig, selektiv. Wenn er auf den flachen Abschnitten mithalten kann, könnte er an den Rampen das Blatt wenden.
Die Rivalität steht bei 8:2, doch Kigali könnte das Kräfteverhältnis neu definieren – das Duell, bei dem sich entscheidet, ob Evenepoel seine Vormachtstellung behauptet oder Pogacar endgültig die Tür ins Zeitfahrer-Oberhaus aufstößt
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